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Josephine Jangowski-BehrendtDas Vermächtnis der Prinzessin
 
Erschienen: Intra 145
 

Aus dem Tagebuch von Truk Drautherb, Erster Zeremonienmeister und Protokollchef seiner Erhabenheit, Imperator Gonozal VIII. da Arkon:
Nun ist Seine Erhabenheit schon zwei Monate in meiner Obhut und gewöhnt sich langsam ein. Ganz kann ich immer noch nicht verstehen, wie man in seiner Jugend die Erziehung eines Kristallprinzen so vernachlässigen konnte. Ein gestandener Mann ist aus dem Höchstedlen ja geworden, das merkt man gleich, aber von vornehmen Umgangsformen hat er keine Ahnung. Oder tut jedenfalls so. Seine Launen jedenfalls entsprechen seinem hohen Rang, gerade das macht meine Aufgabe noch viel schwerer. Als ich das Problem mit meiner Seelenfreundin besprach, sagte sie nur nüchtern, daß ich mich ja während der Herrschaft des Regenten lange genug hätte ausruhen können und jetzt dank langer Untätigkeit über ein stabiles Nervenkorsett verfügen müßte. Kann ich etwa dafür, daß wir solange keine Erhabenheit mehr im Kristallpalast hatten? Ich tue jedenfalls mein Bestes für Gonozal VIII. Und werde manchmal auch durch eine Reaktion belohnt, über die ich am liebsten schallend lachen würde. Aber das überlasse ich lieber den ungehobelten Barbaren von Terra, die die bevorzugte Gesellschaft meines hohen Herren bilden. Ich bin allerdings gespannt, wie diese Geschichte ausgeht....

***

Bericht Atlan:
Ich glaubte, nicht richtig gehört zu haben. Erst seit zwei Monaten lebte ich wieder im Kristallpalast und bemühte mich ebenso energisch wie überlastet um das Große Imperium. Dabei hatte ich mir schnell Feinde gemacht. Das war nicht anders zu erwarten. Besonders die Vertreter des arkonidischen Hochadels waren wie vor den Kopf gestoßen, als ich mich nicht sofort in ihre scheinbar freundlich geöffneten Arme geworfen hatte, um dort mit meiner abgeschotteten Kaste ausführlich und kostspielig ein Wiedersehen zu feiern, das mir nicht wie ein solches vorkommen konnte. Zuviel hatte sich geändert. Die Gonozal, Orbanaschol, Zoltral oder Quertomagin meiner Jugend existierten nicht mehr. Trotz ihres Machtbewußtseins, trotz aller Intrigen zugunsten des eigenen Khasurns waren die großen Familien damals in erste Linie Diener des Imperiums gewesen. Gefährlich untereinander, aber verläßlich, wenn es um das Ganze ging. Heute dagegen schien das Schicksal des Reiches nur noch mich zu interessieren. Die hohen Khasurnherren und ihre Damen dagegen erwarteten von mir Tänze, wie sie besser einem dressierten Bären angestünden. Das nicht etwa, um mir danach zu helfen. Nein, nur, um mich dann haßerfüllt zu tolerieren. So nicht, dachte ich. Von mir kann man viel haben, aber das nicht. Dazu hatte ich gar nicht die Zeit, geschweige denn den Willen. Das sollte auch mein Haushofmeister langsam gelernt haben, der im Augenblick mit treuherzigem Hundeblick, aber voller innerer Arroganz zu mir aufsah. Mehr als zwei Tontas lang hatte er mit eine unglaubliche Menge an Informationen über Titel und Erwartungen der hohen Herrschaften geboten, die heute die Ehre hatten, mit mir sprechen zu dürfen. Eine Zeit, die ich mit bemerkenswerter Geduld durchgestanden hatte, wie ich fand. Aber als er auch noch auf die nötige Etikette zu sprechen kam, hatte ich ihn - zugegebenermaßen etwas rüde - gestoppt. Eine letzte Sache mußte scheinbar trotzdem noch sein. Er zögerte ein wenig, dann brachte er sein Anliegen vor. Meine Reaktion war spontan und kam direkt aus dem Bauch.
"Eigentlich", begann ich leise und sah mit innerem Vergnügen, wie sich mein Zeremonienmeister leicht verfärbte, "war ich der Meinung, die Richtlinien klar genug festgelegt zu haben."
"Natürlich, natürlich" beteuerte Drautherb. "Aber dies ist eine Ausnahme, Euer Erhabenheit."
"Inwiefern eine Ausnahme? Niemand hat das Recht, den Imperator ohne entsprechende Genehmigung des Hofamtes eine Einladung zuzusenden. Und ich habe Ihnen ausdrücklich untersagt, solche Genehmigungen zu erteilen, um niemand mit einer Ablehnung zu beleidigen. Oder habe ich da etwas im Regelwerk der Hofetikette falsch verstanden?"
Drautherb wirkte bestürzt.
"Euer Erhabenheit müssen verzeihen, aber es gibt Rechte, die älter sind als selbst Eure Erhabenheit."
Das brauchte mir der kleine, auf Zeremoniell versessene Mann nicht mehr zu sagen. Manchmal hatte ich das Gefühl, von den uralten Traditionen des Palastes erstickt zu werden.
"Dann heraus damit. Sie wollen mir also sagen, daß ich die Einladung meiner hochwohlgeborenen Cousine annehmen muß, obwohl sie mich haßt und ich keinen Wunsch habe, sie nochmals zu sehen?"
"So leid es mir tut, Höchstedler, aber die Antwort ist ja. Es ist das Privileg des oder der Gonozal der direkten Linie, jedes Familienmitglied und sei es der Imperator höchstselbst, jederzeit zu sich bitten zu können. Natürlich könnten Erhabenheit argumentieren, daß Ihr jetzt der Gonozal seid und die Regel deshalb nicht gilt, aber das würde mit Sicherheit in der Öffentlichkeit nicht gut ankommen. Wenn Ihr nach Eurer Heimkehr nicht einmal mehr die Regeln Eurer eigenen Familie akzeptiert, wie sollen sich Eure Untertanen dann noch sicher fühlen? Prinzessin Gonozal bräuchte nur ein Interview zu geben und wir hätten ein echtes Problem. Ist denn eine Einladung zum Tee wirklich so schlimm? Die Prinzessin kann sehr amüsant sein." Er dachte einen Moment nach. "Wenn sie will".
Im Hintergrund von Drautherbs Augen spiegelte sich Was? Heiterkeit? Ich mußte mich täuschen, es war nicht seine Art, über protokollarische Zwickmühlen zu grinsen. Zumindest nie so, daß ich es sehen konnte. Seufzend gab ich nach und bat meinen Zeremonienmeister, mit meiner Cousine einen Termin auszumachen. Was sie wohl von mir wollte? Ich würde es erfahren.

***

Am vereinbarten Tag bestieg ich unruhig den Gleiter, der mich zum Familientreffen bringen würde. Es schickte sich nicht, im Schoße der Familie mit Leibwache aufzutauchen, allerdings war dem Imperator das Tragen persönlicher Waffen gestattet. Eines der brauchbareren meiner zahllosen imperialen Vorrechte, dachte ich, während der Gleiter abhob und beschleunigte. Vor und hinter ihm flogen Angehörige meiner Garde, die mich aber nur bis zur Eingangshalle des Hauses meiner Cousine begleiten durften. Kein Familienmitglied hatte ein Interesse daran, dem Imperator zu schaden, von dem das Wohl der Sippe abhing. Zudem hatte auch der Imperator das Recht auf ein wenig ungestörtes Privat- bzw. Familienleben. So lautete zumindest die der alten Tradition zugrunde liegende Theorie. In meinem Falle allerdings war der Gedanke an eine 'liebevolle Familie' lachhaft. Vermutlich lauerten bereits Attentäter auf mich. Zumal mich meine charmante Gastgeberin Moya Ma-Gonozal nicht in den Gonozal-Khasurn, sondern in ein Haus am südlichen Meer bestellt hatte. Ich lümmelte mich bequemer in meinen Sitz und beschloß, den Flug zu genießen. In meiner Kinderzeit waren meine Eltern ab- und zu mit mir ans südliche Meer geflogen. Damals hatten sich die beiden imperialen Streithähne eine Zeitlang ganz gut vertragen und beschlossen, daß ihnen wie mir das Klima am warmen Meer guttäte. Damals hatten wir eine Strandvilla in einer versteckten Bucht. Ob es das Haus noch gab?

"Frag' doch nach", empfahl mir der Extrasinn. "Wenn Du den anstehenden Besuch so kurz wie möglich hältst, reicht die Zeit aus, um die Bucht wiederzusehen."
Ich nickte. Die Idee reizte mich. 'Kleine Fluchten', so wie damals, als ich wann immer möglich der Tretmühle des Kristallprinzen-Lebens entflohen war. Leider hatte ich hier noch keine Frau getroffen, mit der ich die Einsamkeit eines Strandes teilen wollte. Interessierte Kandidatinnen gab es zuhauf, aber ich hatte nicht vergessen, wie schnell aus einem Techtelmechtel eine imperiale Hochzeit werden konnte. Das hätte mir gerade noch gefehlt. Über Funk befahl ich meinem Sekretär im Kristallpalast, den jetzigen Eigentümer der kleinen Bucht herauszufinden und mir mitzuteilen, ob ein Besuch gegen später möglich war. Ich wußte, daß meine Mitarbeiter nun alles in ihrer Macht stehende tun würden, um mir meinen Wunsch zu erfüllen. Also begann ich mich zu freuen und war entschlossen, die mir bevorstehende Tortur des Verwandtenbesuches so schnell wie möglich abzuhandeln.
"Wenn Du den Besuch überlebst", warnte mich mein Extrahirn...

***

Alles hatte ich erwartet, aber das nicht.
Eine alte Dame saß in einem Antigrav-Träger und blickte mir mit ruhiger Aufmerksamkeit entgegen. An ihrem Körper hatte sich garantiert kein Schönheitschirurg zu schaffen gemacht und auch das Gesicht zeigte Flagge in Form ehrlich erworbener Falten. Ihre für arkonidische Verhältnisse exotischen Gesichtszüge machten mir zusammen mit ihren tiefblauen Augen klar, daß ihr Haar seine silberblonde Farbe ihrem Alter und nicht ihrer Geburt als Arkonidin zu verdanken hatte. Hinter ihr führte eine Treppe zum Garten hinunter, der zum Strand hin auslief. Eine Mole führte ins Wasser, an deren Ende eine Segelyacht ankerte. Die heiße Sonne Arkons stand hoch am Himmel und beleuchtete das Szenario, das mich an schöne Zeiten an der Cote d'Azur unweit meines Schlosses Le Sagittaire erinnerte.
"Auch mir hat Südfrankreich gefallen, Euer Erhabenheit."
Überrascht blickte ich die Sprecherin an, der nicht nur meine kurzfristige Ablenkung aufgefallen war, sondern auch dem Weg meiner Gedanken folgen konnte. Das war eindeutig nicht Moya Ma-Gonozal, die amtierende Khasurnchefin der Gonozal. Wer aber dann? Wie hatte sie meinen förmlichen Etikette-Fan Drautherb herumbekommen, mich hierher zu schicken? Und was wollte sie von mir? Meine Hand fuhr in Richtung Waffe. Aber hier war alles so friedlich. Beim kurzen Weg von der Eingangshalle durch einen großen Salon hinaus zur Terrasse hatte ich nichts gesehen, was auf Gefahr hinwies. Lediglich ein Butler hatte mich empfangen, mich achtungsvoll begrüßt und sofort zu seiner Herrin geführt. Niemand ließ den Imperator von Arkon warten und auch diese mir völlig unbekannte Frau hielt sich an die Spielregeln, erzwungene Einladung hin oder her. Mein aufmerksamer Blick hatte nicht nur das Fehlen von Waffensystemen bemerkt. Überall in Halle und Salon standen unbezahlbare Kostbarkeiten, von denen einige von meinem fotografischen Gedächtnis als Erbstücke meines Khasurn erkannt wurden. Wer immer die Frau auch war, sie stand mit den Gonozal in enger Beziehung.

"Mit wem habe ich die Ehre, Madame?", fragte ich höflich, aber mit leicht herausforderndem Tonfall.
"Nehmen Sie doch bitte zuerst Platz, Sire", sagte sie und wies mit der Hand auf einen bequemen Stuhl, der neben ihrem Träger an einem kleinen Tisch stand. Darauf war bereits alles für eine typisch terranische Teatime gedeckt - in mir kam so etwas wie Heimweh auf, als ich Scones und Marmelade, aber auch südfranzösische Tapenade und krosses Baguette entdeckte. Stumm half mir der Butler zu einer bequemen Position auf meinem Stuhl, dann goß er der alten Dame Tee ein, sie nippte und nickte dann. Probe bestanden: der Tee war für seine Erhabenheit angemessen und so wurde auch mir formvollendet eingegossen.
"Ich freue mich, daß Sie meine Einladung angenommen haben. Mein Gesundheitszustand macht es für mich schwierig, meinerseits Besuche zu machen und ich wollte Sie gerne kennenlernen, Mascaren da Gonozal. Sie sind doch Mascaren da Gonozal?" erkundigte sie sich freundlich.
"Ja", sagte ich unwillkürlich. "Ich wurde als Mascaren da Gonzal geboren. Doch jetzt heiße ich Atlan."
"Für die Gonozal sind Sie immer noch Mascaren", sagte sie leise.
"Sie wollen wissen, wer ich bin? Zweifeln Sie an den Informationen Ihres Hofstaates? Nun, das tat auch der Adel Arkons, als ich beschloß, mein Alter hier auf Arkon III zu verbringen und den mir zustehenden Platz in der guten Gesellschaft einzunehmen." Sie kicherte vergnügt vor sich hin.
"Euer Erhabenheit können sich gar nicht vorstellen, wie man über mich gestaunt hat, als ich das erste Mal vom Hofmeister zu einem Ball zugelassen wurde, an dem nur der Erbadel teilnehmen darf. Heiratsmarkt nennt man ihn auch. Nun, an mir war nichts mehr zu heiraten, aber vieles zu bestaunen." Sie griff scherzhaft in ihre Haare, die lang und silbern auf ihren Rücken hingen. Lediglich an der Seite waren zwei Zöpfchen zu sehen, die mich an die Haartracht der Springer erinnerten.
"Ich bin Kyrithe da Gonozal, die Letzte der Gonozal aus der derzeitigen Hauptlinie der Familie."
"Aber Sie sind keine Arkonidin, Madame", wandte ich ein. Vermutlich genauso wie das von mir verachtete Adelspack es getan hatte. Peinlich berührt merkte ich, wie eine zarte Röte meine Wangen überzog. Sie lachte ein wenig und trank ein Schlückchen Tee. Ich tat es ihr nach und war erstaunt: der Tee schmeckte wie erstklassiger Darjeeling. Sogar Second Flush, mein Lieblingstee aus der zweiten Ernte im Himalayahochland der Erde.
"Nein, ich bin keine Arkonidin. Auch mein Tee stammt von Terra, wie vieles in meinem Besitz. Aber bleiben wir beim Thema der Gonozal von Arkon. Ich bin zumindest keine reinblütige Arkonidin. Mein Großvater war Kasark da Gonozal, der seinen Vater mit seiner Ehe mit einer Springer-Erbin aus der Khorsal-Familie maßlos erzürnt hatte. Als ich jünger war, war mein Mischlingsblut noch deutlicher zu erkennen, denn auch mein Vater hat innerhalb der Sippe geheiratet, so daß ich leuchtend rotes Haar besaß, aber keinerlei Rotschimmer in den Augen. Albinomerkmale werden nicht dominant vererbt, Erhabener von Gonozal."
Das traf. Auch meine wenigen Kinder waren nach ihrer jeweiligen Mutter geschlagen. Unterbewußt hatte mich das scheinbare Fehlen arkonidischen Blutes immer gestört. Vielleicht war ich deshalb meinen Kindern nie ein wirklicher Vater gewesen. Ich fragte mich, wie Kyrithe mit dieser mehr oder weniger unbewußten Ablehnung klargekommen war?
Wieder schien sie mir meine Gedanken ansehen zu können und lächelte beruhigend.
"Mein Urgroßvater verstieß meinen Großvater, obwohl er der Älteste und der Khasurnerbe war. Das hat Großvater nicht weiter gestört. Er hatte schon davor immer wieder Streit mit seinem Vater, weil er mehr Händler als Adeliger war und lieber sein Vermögen als seine Geburt für sich sprechen ließ. Auch mein Vater mehrte unser Vermögen durch Heirat und Handel. Handel unter anderem mit der 'zerstörten' Erde. Hochverrat für den Regenten." Wieder kicherte sie.
Ich nickte. Die Khorsal-Sippe war die einzige, die das Geheimnis der Erde gekannt - und treu bewahrt hatte. Nicht ohne daraus große finanzielle Vorteile zu ziehen.
"Ich selbst habe die Erde zweimal besucht, vor etwa 40 Jahren und dann nochmal vor 20 Jahren, als es mir noch besser ging."
Die tiefen Spuren, die die Krankheit in ihrem Gesicht hinterlassen hatte, waren trotz des Schattens der Markise, unter der wir saßen, deutlich zu sehen.
"Allerdings ahnte ich nicht, daß mein verschollener Cousin dort sein Leben verbrachte."
Wie auch? Damals lag ich im Tiefschlaf am Grunde des Atlantiks oder trieb mich auf den Miracle-Welten herum. Die Erdoberfläche und ihre landschaftliche Schönheit war damals kein mehr Thema für mich, glaubte ich doch alles im Atomodem verglüht und verbrannt.
"Ich freue mich, daß wir uns heute hier kennenlernen durften. Ich war schon verzweifelt bei dem Gedanken, das 'Vermächtnis der Prinzessin' den Ma-Gonozal ausliefern zu müssen. Denn lange werde ich nicht mehr leben".
Dabei blitzte mir ein Lächeln aus ihren eulenhaften Augen entgegen. Diese Frau hatte gelebt, vielleicht auch geliebt. Vor dem Tod hatte sie jedenfalls keine Angst. Wäre ich auch so tapfer, wenn es ans Sterben ging? Oder hatten die Jahre der Unsterblichkeit mein Verhältnis zum Tod entscheidend verändert? Machte mir das Sterben heute Angst?
Ihre Hand griff mit überraschend festem Griff nach meiner.
"Denke nicht an das Unerforschte, Cousin. Auch für Dich wird der Tag des Überganges kommen, aber noch weißt Du und auch niemand sonst, wie er aussehen wird. Fürchte Dich nicht vor Dingen, die noch nicht geschehen sind. Die vielleicht niemals eintreten werden. Laß uns von etwas anderem reden. Vom Grund dieser Einladung."

Die alte Dame lehnte sich zurück und deutete mit ihren Armen um sich.
"Hier sind viele Erbstücke der Gonozal, aus den mehr als zwanzig Jahrtausenden da Ark. Mein Urgroßvater hatte zwar seinen ältesten Sohn enterbt und ihn verstoßen. Dennoch mochte er nicht gegen die Familientradition verstoßen. So wurde Großvater Kasark zwar nicht der Khasurnherr, aber der Hüter des Gonozal-Vermächtnisses. Nach Urgroßvaters Tod erhielt er die Erbstücke und das Vermächtnis. Heute bin ich die Hüterin. Auch ich habe treu meinen Auftrag erfüllt: nichts ging verloren, alles ist sicher. Sicher für Dich, Mascaren Atlan da Gonozal."
"Die Erbstücke", dachte ich. Ein wenig Erinnerung in dieser mir so fremden Heimat. Ahnte die Prinzessin da Gonozal, welches Geschenk sie mir damit machte?
Wie sehr es mich geschmerzt hatte, im Khasurn der Gonozal ein Fremder, ja, ein Feind zu sein? Nun würde ich die Dinge erhalten, die erst aus einem arkonidischen Trichterhaus den Khasurn einer Familie machten. Die aber auch aus einer Villa ein Heim machen, aus einem Raumschiff eine Wohnstatt. Hier, in diesem Haus am Meer, das nicht im entferntesten einem Khasurn glich, sondern wie der Nachbau einer südfranzösichen Villa wirkte, lebte Kyrithe da Gonozal. Und mit ihr die Erinnerung an alle ihre Vorfahren, die teilweise meine Vorfahren und teilweise die Nachkommen meiner Cousins waren. Eines Tages würde diese Erinnerung mir gehören: meine arkonidische Heimat, die ich in notfalls in Kisten packen konnte wie meine Erinnerungen an meine Zeit auf der Erde. Eine Heimat für den ewigen Wanderer, für den Einsamen der Zeit.
Kyrithe war wieder meinen Gedanken gefolgt. Leise sagte sie:
"Ich habe geglaubt, hier auf Arkon zurück an den Ursprung der Familie zu kommen. Ein Ursprung, der auch für mich Heimat bedeutet. Aber das stimmt nicht. Vielleicht habe ich zuviel Springer-Blut in den Adern und bin ewig auf dem Sprung. Vielleicht habe ich mir auch zuviel erwartet. Tatsache ist, daß ich nie glücklicher war als damals auf der Erde, in Südfrankreich. Ich traf auch einen Mann, damals. Es wurde nichts draus, leider. Aber ich habe irgendwann begonnen, mir hier meine Enklave zu schaffen. Hier werde ich sterben, bald. Dann wird dieser Strand, dieses Boot, dieses Haus Dir gehören, erderfahrener Arkonide. So wie all mein Vermögen Dir gehören wird."

Der harte Ton eines Minicom-Summers unterbrach die Prinzessin. Kyrithe nahm an, hörte interessiert und schließlich amüsiert zu.
"Natürlich geht das in Ordnung. Jederzeit". Sie beendete das Gespräch mit Knopfdruck und wandte sich mir zu.
"Entschuldige, Cousin. Kommen wir auf das Wesentliche zurück: ein Imperator hat wenig Zeit, selbst für seine Familie nicht. Auf mein Erbe wirst Du noch ein bißchen warten müssen, so die Sternengötter es wollen. Heute kann ich Dir das 'Vermächtnis der Prinzessin' ausfolgen, dessen Hüterin ich bin. Vor zehntausend Jahren wurde es für Mascaren da Gonozal bestimmt, wenn er je nach Arkon zurückkehrt."

Sie wandte sich um und winkte ihrem Butler, der eine große Kiste auf einem Antigrav hereinschob. Kyrithe öffnete die Kiste und entnahm ihr einen unförmigen Kristall.
"Dies ist die letzte Prüfung, Mascaren. Fang."
Instinktiv griff ich zu und fing den Kristall auf. In meiner Hand fing er an zu schwingen. Etwas derartiges hatte ich noch nie erlebt. Mittlerweile war ich aber fest davon überzeugt, daß Kyrithe die Wahrheit sprach und mir hier keine Gefahr drohte. Auch der Extrasinn hatte sich nicht gemeldet. Deshalb behielt ich den schwingenden Kristall in den Händen und beobachtete fasziniert, wie sich das Stück kristalline Masse aufzublähen und zu verändern schien.

"Ein Khri'ahn-Kristall", murmelte meine Cousine, die ihren Antigrav-Träger nähergefahren hatte. "Ich wußte, daß es sie gibt, aber ich habe noch nie einen in Aktion gesehen. Du bist wirklich Mascaren, denn der Kristall wurde von der Erhabenheit auf Deine Zellschwingungen eingestellt."

"Welche Erhabenheit?" wollte ich fragen, aber der Kristall zog mich immer mehr in seinen Bann. Sein Schwingen verstärkte sich und langsam wurde er in meinen Händen warm und weich. "Was willst Du von mir", schien er in meinem Kopf zu fragen und auch eine Antwort zu erhalten, die ich selbst nicht verstehen konnte. Jedenfalls veränderte sich das Schwingen von aufgeregt-fragend zu arbeitssam-aktiv. Die Wärme des Kristalls schien meinem ganzen Körper zu durchziehen und jede einzelne Faser anzusprechen. Im Nacken sammelte sich das seltsame Gefühl und zog unter die Haut, um meine Nervenzellen dort wie mit Nadelstichen anzusprechen. Mein Zellaktivator pulsierte wie rasend. Ich glaubte plötzlich, die Quelle der Schwingungen, des warmen Gefühles zu erkennen. Liebe, der Kristall strahlte Liebe aus. Nährende, wunderschön wohlige Liebe. Wie die Liebe der Mutter, die ich kaum gekannt hatte. Wie der Kuß der Sternenprinzessin, deren Lippen unter den meinen regungslos geblieben waren und deren Liebe einem anderen gegolten hatte. Zärtliche Liebe, von Weichheit und Verständnis geprägt. Komm' her in meine Arme, schien diese liebevolle Wärme zu sagen, komm' her und laß den Krieger und Herrscher hinter dir zurück. Komm' her, laß' dich umarmen und sei für immer geborgen. Komm' her und finde den Hort der Glückseligkeit. Ich kam, sah und schmolz. Meine eben noch blicklosen Augen richteten sich auf das unerschöpfliche Wechselspiel zwischen Meer und Himmel, saugten dieses unergründliche Blau in all seinen Facetten auf und sandten die Schwingungen zum Kristall in meinem Händen. Eine erneute Welle Glück floß durch mich. Gute Wahl, gute Wahl schienen alle meine Nervenzellen zu singen, bevor mich ein Hitzeschlag traf und ich in Ohnmacht fiel.

***

Als ich aufwachte, lag ich auf dem Deck der Segelyacht, die leise im südlichen Meer schaukelte. Vögel sangen in der Takelage, Frieden umgab mich. Meine Cousine hatte mein Aufwachen aufmerksam beobachtet und winkte nun den Medorobot zurück, der mich offensichtlich überwacht hatte. Langsam richtet ich mich auf dem bequemen Lager auf.
"Was ist passiert?" fragte ich.
"Ich weiß es nicht. Der Kristall veränderte sich und plötzlich verlorst Du das Bewußtsein. Ich bin völlig erschrocken, aber mein Medo versicherte mir, daß Du bald wieder aufwachen würdest. Das tatest Du auch kurz. 'Zum Meer, zum Meer', hast Du gemurmelt und bist wieder weggedämmert. So ließ ich Dich auf die Yacht bringen und wir fuhren ein Stück in die Bucht hinaus. Meine Güte." Jetzt kicherte sie wieder und ich konnte große Erleichterung in ihrer Stimme hören.
"Hättest mich fast als Attentäterin dastehen lassen. Gott sei Dank geht es Dir wieder gut. Es geht Dir doch gut, oder?", fragte die alte Dame ängstlich.
Ich winkte ihr lächeln zu und setzte mich auf.
"Wo ist der Kristall?"
"Hier" - sie faßte neben sich und schob mir eine Schmuckschatulle entgegen. In ihr lag der Kristall. Oder das ,was aus ihm geworden war. Fassungslos betrachtete ich das neue Juwel. Tiefblau, in jeder Facette einen anderen Ton des ewig wechsenden Meeres widerspiegelnd, strahlte mir ein 'Stern von Arkon' entgegen. Der neugeschaffene 'Blaue Stern' war eines der kostbarsten Juwelen Arkons. Selbst in der imperialen Schatzkammer gab es nur zwei 'Sterne', einen goldenen und einen roten. Der Legende nach hatten sie einem Imperator und seiner Frau gehört, die unsterbliche Liebe verbunden hatte. Ich hatte laut gesprochen, denn meine Cousine lachte.
"Du irrst, Imperator. Es gab zweimal ein solches Liebespaar auf dem Thron von Arkon. Auch die 'Sterne' dieser beiden gehören zum imperialen Erbe. Aber das ist eine andere Geschichte."
Kyrithe da Gonozal nickte zufrieden und klärte mich darüber auf, daß der Stein nun perfekt in das Krönungsband paßt, das Upoc - Onkel Gonozal VII - einstmals für mich, seinen designierten Thronfolger, anfertigen ließ und das seither unvollendet in der Schatzkammer des Kristallpalasts auf seinen Träger wartete. Damals war der Stein auf meine persönliche Zellschwingungen eingestellt worden, nur ich konnte die Metamorphose des Kristalls zum 'Stern von Arkon' anregen.

Kyrithe griff erneut hinter sich und holte die Box hervor, in der der Kristall gelegen hatte.
"Nimm' den Kristall und halte ihn hier an das Schloß", wies sie mich an.
Ich fasste den Kristall an und spürte wieder, wie mich Liebe durchfloß. Dann hielt ich den Kristall wie gewünscht an das kaum erkennbare Schloß. Etwas knackte und die Box öffnete sich. In ihr lag ein Speicherkristall, sonst nichts. Verwirrt blickte ich meine Cousine an. Sie zuckte mit den Schultern.
"Mehr weiß ich auch nicht. Ich schlage mal vor, daß Du Dir den Speicher näher ansiehst."
"Dazu möchte ich gerne allein sein", murmelte ich verstört. Der 'Stern' verstärkte sein Pulsieren. Fast schmerzhaft spürte ich die Schwingungen, die von hoffnungsloser Liebe und Verzweiflung zu sprechen schienen.
"Dein Büro hat mir vorhin gesagt, daß Du die Gonozal-Bucht besuchen willst?"
"Ja", sagte ich verwirrt, "ich wollte gerne die Bucht wieder sehen, in der ich als Kind gespielt habe".
"Sie gehört zu meinem Besitz. Ich lasse Dich hinbringen und sorge dafür, daß Du ungestört bist, wenn Du den Speicherkristall ansiehst. Soll ich den 'Stern' in meinem Tresor aufbewahren, bis Du zurückkommst?"
Nun war meiner Cousine das Organisationstalent und die Geschäftsmäßigkeit ihrer Springer-Vorfahren anzumerken. Dankbar nickte ich ihr zu, winkte aber ab, als sie den 'Stern' an sich nehmen wollte. Die Yacht nahm Fahrt auf und brachte mich an den Strand meiner Kindheit. Der 'Stern' schien in meiner Hand fröhlich zu jubilieren. Meine Laune besserte sich spontan und ich genoß die kurze Fahrt. Mit dem Dinghi setzte ich an den Strand über. Dort hatten mittlerweile wieder unsichtbare Helfer einen Pavillon aus hellem Stoff aufgestellt, der mit feinen Teppichen ausgestattet war und den Blick zum Meer hin freiließ. So wie damals. In einem Pavillon wie diesem hatten meine Eltern geschmust und dennoch Zeit für einen wachsamen Blick auf mich gefunden, der vergnügt eine Sandburg baute. Der 'Stern' in meiner Hand vibrierte wieder leicht und ich erinnerte mich an die fröhliche Liebe meiner Eltern, die in diesen raren Momenten so sehr von Herzen kam.
"Mascaren Atlan da Gonozal", sagte ich mir, "eigentlich hattest Du eine glückliche Kindheit. Solange sie eben dauerte." Und ich war froh, daß es mir wieder eingefallen war.

***

Eine Frau blickt mir entgegen. Ihre Kleidung ist schlicht, aber kostbar, die weißen Haare sind zurückgekämmt und im Nacken zu einem Knoten geschlungen. Keine Schminke verbirgt die Spuren ihres Alters. Ihr immer noch schöner Mund ist von Lachfältchen umgeben, die sich bis zu den eindrucksvollen Augen hinaufziehen. Sie haben noch immer dieses besondere Rotgold, das bei einem Wutanfall wie flüssige Lava zu sprühen scheint. Aber diese Augen wirken nicht, als hätten sie im Leben viel Grund zum Zorn gehabt. Sie sieht glücklich aus, auch jetzt, wo sie mir ernst entgegenblickt. Yagthire da Gonozal. Onkel Upocs Tochter, einstmals dazu bestimmt, meine Kristallprinzessin und später meine Imperiatrix zu werden. Seit mehr als zehntausend Jahren tot.

***

Bericht Atlan:
Ich war geschockt. Das passiert mir immer seltener, aber es gehört nun mal zu meinen Charaktereigenschaften, auf völlig unerwartete Geschehnisse mit dem Abtauchen in einen Schwebezustand zu reagieren. Dann beherrscht mein Unterbewußtsein zusammen mit meinem Extrasinn mein Handeln und hat mir dadurch schon manchesmal das Leben gerettet. Diesmal war Selbstverteidigung nicht nötig, der Strand hinter mir friedlich und vermutlich erstklassig bewacht, wenn ich meine Cousine richtig einschätzte. Auch das Meer vor mir wogte sanft und gemächlich - bald würde der Gezeitenwechsel vollendet sein und die Ebbe einsetzen. Als sei er mit dem Meer innerlich zutiefst verbunden, pulsierte mein "Stern von Arkon" in gleichmäßigen, beruhigenden Wellen in meiner Hand. Abwehr war nicht geboten und auch nicht möglich, obwohl mich der Anblick von Yagthires Gesicht zutiefst berührte. Ich verharrte bewegungslos auf meinen weichen Kissen und starrte wie hypnotisiert in den Speicherkristall.
Yagthire schien mich direkt anzublicken und es war, als hörte ich sie in meinem Kopf sprechen, in dieser angenehm kultivierten Stimme, die mich innerlich immer zur Raserei gebracht hatte. Während mich der Brudermörder Orbananschol III. wie einen Hund hetzte, genoß sie als Tochter einer Orbanaschol und Vaters zweitem Bruder Upoc das verwöhnte Leben einer Sternenprinzessin. Während mir der Hinrichtungsplanet Celkar zugedacht war, lernte sie alle Tricks einer Rassekatze, der ein weiches Plätzchen im Kristallpalast von Geburt an zusteht. Von Onkel Upoc erzwungenermaßen der Obhut Orbanaschols überlassen, war aus Yagthire der Inbegriff einer hochadligen Arkonidin geworden: von herablassender Ruhe und von der Gewißheit erfüllt, daß es ihr gutes Recht war, alles vom Leben zu erhalten, was sie sich wünschte. Nur Schönheit war ihr nicht in die Wiege gelegt worden: außer ausdrucksvollen Augen und einem wirklich küssenswerten Mund gab es wenig an Yagthire, was Männer in den Bann plötzlicher Leidenschaft zwang. Dennoch hatte sie eine Vielzahl von Verehrern und nicht allen von ihnen war vorzuwerfen, die vorteilhafte Verbindung mit einer Gonozal zu suchen. An ihrer Intelligenz konnte es aber auch nicht liegen: die ARK SUMMIA hatte sie nicht geschafft, es gar nicht erst versucht. Es war wohl etwas an ihr, das ich nicht verstehen konnte. Dennoch hatte ich meine Pflicht erfüllt und mich mit ihr verlobt, als mich der Imperator, ihr Vater, dazu aufforderte. Sicherlich wäre es mir auch gelungen, mit ihr eine standesgemäße Ehe zu führen. Zumindest hätte ich mich bemüht, was ich von ihr nicht unbedingt behaupten will. Aber es war ja alles anders gekommen. Ich landete auf Terra und begann meine Wanderung durch die Jahrtausende. Yagthire hatte mir offensichtlich nachgetrauert und mir ein 'Vermächtnis' hinterlassen. Ich war gespannt.

***

"Du hattest damals unrecht, Mascaren. Eine wilde Jugend bedeutet nicht, daß man nicht wenigstens im Alter Würde findet. Aber wäre ich damals schon so weise gewesen wie ich heute zu sein hoffe, so wäre das alles nicht passiert. Was aber dann?"

***

Ich sah von meinem Buch auf, als einer der Hofbeamten meines Vaters eintrat und zog mich instinktiv tiefer in den Schatten der wuchernden Wintergartenpflanzen zurück. "Befehl seiner Erhabenheit", verkündete er. "Die Damen haben die Imperiatrix-Witwe allein zulassen."
Gehorsam erhoben sich Großmutters Damen und zogen sich still zurück. Ich drückte mich noch tiefer in das Pflanzengewirr der Orangerie, bis ich sicher war, daß mich niemand mehr sehen konnte. Ich selbst war ja keine Hofdame und deshalb vom Befehl des Imperators nicht betroffen. Dennoch wollte ich nicht riskieren, erwischt zu werden. Von meinem Platz aus sah ich das Profil der alten Imperiatrix. Die Haut glich mittlerweile feinstem Pergament, aber ihre Augen blitzten lebhaft, als sie meinem eintretenden Vater entgegensah. Mit freundlichem Nicken nahm sie seine ehrerbietige Begrüßung entgegen.
Schon immer war die Höchstedle Ashlea da Orbanaschol, dritte Frau und Witwe des Imperators Gonozal VI., eine nicht zu unterschätzende Macht im Kristallpalast . Glücklicherweise für unsere von Intrigen zerfleischte Familie war ihre Herrschaft stets wohlwohlend matriarchalisch. Gleich nach ihrer glanzvollen Hochzeit mit Gonozal VI. hatte sie ihre schützende Hand über dessen verstoßene Frau Moryty da Zoltral und den kleinen Upoc gehalten, den die Scheidung zum Bastard gemacht hatte. Zwar konnte sie Moryty nicht vor dem Selbstmord bewahren, aber mein Vater hatte es Ashlea zu verdanken, daß er unbehelligt erwachsen und zum Musiker werden konnte. Auch seine Re-Legitimisierung als Gonozal war Ashleas Werk. Allerdings war Großmutter auch immer im Sinne ihrer Dynastie unterwegs: Vater mußte dieses Privileg durch die Ehe mit meiner Mutter Aspene bezahlen, die Ashleas Nichte und eine Orbanaschol war. So war die Höchstedle nur meine direkte Großtante, trotzdem durfte ich sie Großmutter nennen und wie eine Großmutter schützte und liebte sie mich. Denn Ashlea war der gute Geist beider Familien: der Gonozal wie der Orbanaschol. In meinen Adern floß das Blut beider Familien.
Die Imperiatrix-Witwe war die einzige, auf die Onkel Veloz je hörte, damals, in der Zeit, die heute die "Schlimme" genannt wird. Ich habe viele Erinnerungen an diese Zeit verloren und bin dankbar dafür. Ich bemühe mich, nur an eine Jugend mit Schule, Unterricht und Training zu denken, in der es auch heitere Feste und fröhliche Freizeit gab. Aber natürlich geht es mir persönlich besser, seit Orbanaschol III. tot ist und mein Vater als Gonozal VII. herrscht. Äußerlich hat sich dagegen für Großmutter und mich wenig geändert. Auch Vater verehrt seine kaiserliche "Mutter", wie er sie liebevoll nennt und ließ mich deshalb nach seiner Thronbesteigung in ihrer Obhut.
Das würde sich nun ändern, wenn ich den Gerüchten bei Hofe glauben konnte. Oder glauben wollte. Tat ich aber nicht. Jedenfalls nicht unbedingt. Deshalb verbarg ich mich nun im Dickicht wuchernder Grünpflanzen und hoffte, aus ersten Hand Hinweise auf meine Zukunft zu erhalten. Um ehrlich zu sein: ich lausche gern. Und höre auch dem Hofklatsch zu. Das gibt mir Sicherheit und das Gefühl, meinem Leben gewachsen zu sein. Daß das nur eine Illusion war, würde ich heute lernen.
"Ich danke Dir für Deinen Besuch, Gonozal." Großmutter erhob sich leicht und bot meinem Vater dann den Sessel an ihrer Seite an.
"Ich bin mir nicht sicher, ob Du Dich noch freust, wenn Du hörst, was ich zu sagen habe." Vaters Stimme klang belegt, aber sicher. Großmutter musterte ihn mit einem schnellen Blick und zog es dann vor, geduldig zu warten, bis er weitersprach.
"Ich habe mich gegen Deinen Plan entschieden. Yagthire wird den Orbanaschol-Erben nicht heiraten. Sie wird die Frau meines Kristallprinzen."
Ich merkte, wie ich aufstöhnte und steckte mir schnell eine Faust in den Mund. Wenn Vater mich nun bemerkte, wurde es ernst. Obwohl - das war es schon. Ich sollte Mascaren da Gonozal heiraten? Cousin Mascaren, der mich nicht leiden konnte und mich noch nie eines Blickes gewürdigt hatte?
12 Jahre war Onkel Velox nun schon tot. Mascaren hatte seinen Teil zu Onkels Sturz beigetragen. Ich konnte ihm das nicht verdenken. Schließlich hatte Onkel Velox seinen Bruder, meinen anderen Onkel Mascudar da Gonozal, den Imperator Gonozal VII., ermordet und kurz darauf dem kleinen Kristallprinzen Mascaren den Thron Arkons gestohlen. Lange Jahre war Mascaren auf der Flucht und kämpfte schon als Jugendlicher gegen unseren Onkel, bis er und seine Leute schließlich siegten. Dann aber wurde nicht der Kristallprinz, sondern mein Vater Upoc da Gonozal zum Imperator bestimmt, während Mascaren die Zeit als Thronfolger für seine Ausbildung nutzen sollte. Wissenschaftler war er geworden, dann Offizier. Von der inneren Welt einer Frau verstand er sichtlich wenig. Dafür um so mehr von Geilheit und Hurerei. Behauptete zumindest der Hofklatsch. Und er war alt! Erlebnisse prägen den Menschen, sagt man. Mascaren hatte das wilde Leben auf der Flucht vor Onkels Häschern hart gemacht. Ich konnte das gut verstehen. Aber mir gefiel nicht, wie Mascaren deshalb mit mir umging. Mir gefiel der gesamte Prinz nicht.
Ashlea da Orbanaschol schwieg. Als sie schließlich antwortete, klang ihre helle, freundliche Stimme ungewöhnlich ernst.
"Du machst einen Fehler, Gonozal. Aus dynastischen Erwägungen heraus hast Du natürlich recht. Aber Deine Tochter liebt Mascaren nicht. Wenn Du sie besser kennen würdest, wüßtest Du, daß sie andererseits mit Jordin glücklich werden könnte. Es gibt eine ganze Reihe passender Damen für Mascaren. Was ist Dir wichtiger? Das Glück Deines Kindes oder ..."
Mein Vater unterbrach sie ungehalten.
"Mein Entschluß ist gefaßt. Yagthire wird Mascaren heiraten und seine Kristallprinzessin."
Seine Stimme wurde härter, als er sagte "Das Kind war immer unauffällig und brav. Meine Tochter heiratet nicht den Bastard meines verräterischen Bruders Velox, sondern den legitimen Erben meines ermordeten Bruders Mascudar. Es ist mir gleichgültig, ob Jordin da Orbanaschol offiziell der Sohn des Khasurnchefs der Orbanaschol ist. Ich weiß, welches Blut in seinen Adern fließt. Er wird nie der Mann meiner Tochter. Es ist mir egal, was Du mir von den Gefühlen der beiden zueinander erzählst. Yagthire wird ihre Pflicht tun. Sollte sie jetzt rebellieren, weiß ich, wo ich die Schuld suchen muß, Ashlea." Die offen ausgesprochene Drohung reichte, um meine Augen zum Tränen zu bringen. Vater ließ die Pause wirken. Oh ja, er war ein Gonozal - wie sein Bruder Velox.
"Aber ich kann Dich beruhigen, Mutter." Seine Stimme wurde weicher, als er das eingefallene Gesicht Ashleas ansah. "Mascaren hat mir versprochen, gut zu ihr zu sein. Sie wird einen nachsichtigen Mann in meinem Nachfolger finden. Wenn sie sich an die Spielregeln hält. Aber da habe ich keinen Zweifel - Yagthire ist ein freundliches Mädchen." Er sprach über mich, als wäre ich eine gut erzogene Schachfigur. Ich wollte losschreien, aus dem Dickicht krabbeln und ihn mit meinem Zorn zum Nachdenken bringen. Aber ich wagte es nicht. Wenn man bei Orbanaschol III. aufgewachsen war, wußte man, was Drohungen wert waren. Niemals würde ich Großmutter gefährden. Zumal ich sie bestürmt hatte, Vater für meine Heirat mit Jordin zu gewinnen. Sie war bis zuletzt skeptisch geblieben, hatte sich dann aber erweichen lassen. Sollte sie nun als Faustpfand wegen mir leiden? Das konnte ich nicht zulassen. Vater hatte mich in der Zwickmühle. Denn ich wußte zu gut, zu was Arkoniden mit Gonozalblut in den Adern fähig waren.

***

"Ich liebe Dich, Jordin". Ich stammle die Worte immer wieder, während ich mich wie eine Schlingpflanze an meinem Liebsten festhalte. Wieder und wieder biege ich meinen durchtrainierten Körper zu ihm hin und mache es ihm unmöglich, mich wirkungsvoll wegzudrücken. Das hätte nur Gewalt geschafft. Dazu ist Jordin nicht fähig, wenn es um mich geht. Da bin ich mir ganz sicher. Aber Jordin hat andere Möglichkeiten. Wie Eis durchrinnt mich seine Stimme, als er mich tonlos "Kristallprinzessin" nennt. Noch bin ich nicht die Kristallprinzessin von Arkon. Aber wenn es nach dem Imperator und seinem Erben geht, dann wird es nicht mehr lange dauern, bis mich jeder mit diesem verhaßten Titel anspricht. Nicht mehr lange und ich bin die legitime Ehefrau von Mascaren da Gonozol, Gos'athor oder Kristallprinz von Arkon. Wie ich Mascaren hasse. Mein Kopfkissen ist nass von meinen Tränen, als ich erwache und blicklos ins Leere sehe.

***

"Ich will Dich nicht, Mascaren", murmele ich mit leiser Stimme, während meine Lieblingszofe mir getrocknete Blätter des Wunschbaumes reicht. Langsam vergehen die Blätter in der Glut des kleinen Feuers in der Meditationsschale. Mit jedem Rauchschub wünsche ich Mascaren etwas Übles an den Hals. Wieder erwache ich.
Wieder sind es nur Träume. Dazu bestimmt, Gegenwart zu werden.

***

Mascarens Erwiderung war nachsichtig und heiter.
"Warum glaubst Du, davon etwas zu verstehen, kleine Prinzessin?"
Ich hatte es trotz meiner Vorbehalte versucht. Das war ich mir schuldig. Mochte mein Erzeuger mich auch der Staatsraison geopfert haben, ich war eine Gonozal von Arkon. Kein kleines Mädchen, sondern erwachsene Frau. Ich wollte versuchen, eine tragfähige Basis für eine Ehe zu schaffen. Mascaren wußte nichts vom Kristallpalast und seinen geheimen Regeln. Dafür kannte ich mich hier aus. Er wiederum war ein Ass, wenn es um das Imperium ging. Jeder von uns konnte sich einbringen und daraus etwas Gemeinsames schaffen. Dachte ich zumindest. Bis ich mit Mascaren sprach, den ich in mein Appartement gebeten hatte. Seit unserer offiziellen Verlobung war das nicht nur machbar, sondern sogar gewünscht. Die Prinzessin empfängt ihren hochedlen Verlobten zu intimen Gesprächen... Im Moment war mir aber wenig romantisch zumute. Aus meinem bescheidenen Traum von gegenseitigem, freundschaftlichen Vertrauen jäh herausgerissen, blickte ich an meinem Cousin vorbei.
"Ich bin an diesem Hof aufgewachsen, Du nicht," warf ich ihm mit zornigem Unterton vor.
Er hatte den Kopf zur Seite geneigt und warf mir einen langen, vorsichtigen Blick zu.
"Du lebst schon lange im Kristallpalast. Das stimmt. Doch vor Deinem Vater herrschte hier ein anderer Geist. Ich kann mir nicht denken, daß Deine Erfahrungen aus dieser Zeit sehr hilfreich für mich sein können. Deshalb bitte ich Dich, Dich aus diesem Bereich meines Lebens herauszuhalten. Du wirst sicherlich etwas anderes finden, um Dich angemessen zu beschäftigen. Nötigenfalls werde ich Dir dabei sehr gerne und geduldig behilflich sein."
Seine Stimme klang plötzlich seidenweich, verführerisch. Sein Kopf kam mir jetzt sehr nahe. Mit einer nur leichten Bewegung meines Armes hätte ich die weiß schimmernde Fülle seines langen Haares streifen können.
"Mascaren?", ich probierte es noch einmal. Trotz der mir gegenüber geäußerten Herablassung. "Ich will mich nicht mit Dir streiten."
"Streiten wir denn?"
"Wir haben uns gerade wie Bruder und Schwester gezankt. Oder wie Cousin und Cousine. Aber das sind wir nicht mehr."
"Ja", sagte mein Verlobter. "Das sind wir nicht mehr".
Er legte mir seine Hand auf den Arm und ließ dann seine Finger langsam zu meiner Schulter hinaufgleiten. Er zog mich sanft, aber bestimmt zu sich heran und küßte mich voll auf den Mund. Ich bemühte mich, meine Lippen unter seinem warmen und zärtlichen Kuß unberührt erscheinen zu lassen. Er küßte wirklich sehr gut. Sein liederlicher Ruf war offenbar wohlverdient. Ich dachte an Jordin und die scheue Berührung seiner Lippen. Jordin hatte bisher nur mich gekannt und so würde es noch lange bleiben, davon war ich überzeugt. Ich aber sollte in wenigen Wochen den Tisch und vor allem das Bett dieses attraktiven, erfahrenen Mannes teilen, der sich wenig dabei denken würde, eine Geliebte neben mir zu haben. Er hatte wohl gedacht, es sei der richtige Moment, um mich einzufangen und vom Thema abzubringen. Letzteres war ihm gelungen. Ich streifte seine Hände ab und trat scheinbar gelassen zurück. Mit nachsichtiger Höflichkeit verneigte ich mich: "Noch sind wir nicht verheiratet, kaiserliche Hoheit." Und hoffte dabei, daß die Art, wie ich seinen Titel betonte, etwas von dem Abgrund vermittelte, den ich zwischen uns empfand und der uns immer trennen würde.
Mascaren war nicht dumm. Sein schmales, ausdrucksvolles Gesicht verschloss sich und zeigte mir die gewohnte Arroganz mit dem ironischen Zug um die Lippen. Er verbeugte sich seinerseits, wünschte mir formvollendet eine gute Nacht und verließ mein Zimmer. Langsam öffnete ich meine Hand und streute die Blätter einer völlig zerquetschten Koiliblüte auf den Fußboden.

***

Am Hof bereitete man das Fest des Jahreswechsels vor. Der Methan-Krieg war wieder aufgeflackert und man sprach davon, daß es bald zu einer Entscheidungsschlacht kommen mußte. Als Geste der Hoffnung von allerhöchster Stelle hatten der Imperator und sein designierter Nachfolger beschlossen, daß der frischgebackene Admiral ein Geschwader übernehmen würde, das zu seinen Ehren "Kristallprinz" genannt wurde. Doch zunächst begann eine scheinbar fröhliche Zeit voller Feste und Überraschungen. Ich selbst war nach den Verlobungsfeierlichkeiten wieder in Großmutters Palastteil zurückgekehrt. Eine innere Stimme hatte mir vorgeworfen, daß ich vor Mascarens Aufmerksamkeiten flüchtete, aber das war lächerlich. Mein Bräutigam suchte nicht nur nicht meine Nähe, wenn wir zufällig aufeinandertrafen, sondern ging mir merklich aus dem Weg.
Er verbrachte viel Zeit mit seinen Gefährten, die wie er ihren Fronturlaub am Hofe verbrachten und dabei für Unterhaltung und gute Launen sorgten. Die Männer um den Kristallprinzen waren wegen ihres Charmes und ihrer sportlichen Fähigkeiten ebenso wie für Aufgaben in der Flotte oder der Diplomatie ausgesucht worden und dienten Mascaren als Maßstab seiner eigenen Fähigkeiten. Dagor-Wettkämpfe wechselten mit ausgefallensten Sportarten ab, während am Abend Musik und Tänze der exotischsten Welten des Großen Imperiums die Stimmung hoben. Vaters Hof war für seine musikalischen Spektakel bekannt, nun brachte der lebenslustige Kristallprinz seinerseits Farbe ins höfische Leben.
Doch davon bekam ich wenig mit. Großmutter war wegen meiner erzwungenen Verlobung immer noch auf Vater wütend und hielt sich abseits des fröhlichen Treibens. Ich hatte die mitleidigen Blicke von Mascarens Gefährten satt, die genau wußten, wie es um uns stand und sich natürlich vorsorglich auf die Seite des künftigen Herrschers stellten. Zumal sie alle Schwestern hatten, die versorgt werden sollten. So lebte ich zurückgezogen, während mein Verlobter fröhlich Hof hielt. Leider konnte ich meine Verpflichtungen nicht ganz umgehen und mußte notgedrungen die Vervollständigung meiner Aussteuer überwachen. Wenigstens war noch kein Termin für die Hochzeit festgelegt - erst sollte Admiral da Gonozal die Gelegenheit bekommen, sich ausführlich mit Ruhm zu bekleckern. Daneben war vorgesehen, ihn im Bereich der Kolonisation einzusetzen, da ihm noch mehr als Vater an der Integration der Völker im Großen Imperium gelegen war. Insgeheim war ich dafür dankbar. Vielleicht, so hoffte und spekulierte ich, würde er diese Interessen auch als Ehemann beibehalten und so seine Anwesenheit auf ein Minimum reduzieren.
Meine einzigen Augenblicke des Glücks in dieser Zeit hatte ich, wenn mir Jordin von der Akademie in IPRASA schrieb. Bald würde er dort seinen Abschluß machen und in den heimatlichen Khasurn zurückkehren. Bestimmt konnte ich dann Großmutter überreden, mit mir einen langen Besuch bei meiner Familie mütterlicherseits zu unternehmen. Oder Onkel Heymerk da Orbanaschol würde seinen Erben Jordin an den Hof mitbringen. So oder so. Wie es aussah, besaß ich die reele Chance, noch ein wenig Zeit mit meinem Liebsten zu verbringen, bevor ich ihm vielleicht für immer, vielleicht aber auch nur für eine kurze Zeit Adieu sagen mußte. Denn insgeheim war ich fest entschlossen, Mascaren überwachen zu lassen und ihn sofort meinerseits zu betrügen, sobald er unsere Ehe brach. Leicht war mir dieser Entschluß nicht gefallen. Obwohl ich mütterlicherseits eine Orbanaschol und diese Familie für die Leichtherzigkeit ihrer Frauen und die krummen Wege ihrer Männer berühmt war, lag mir Untreue nicht. Auch Jordin besaß ein ganz erstaunliches Ehrgefühl für einen Orbanaschol, wie sie am Hofe boshaft flüsterten.
Aber ich liebte ihn und er liebte mich. Wenn das Leben gerecht wäre.... Aber das war es nun einmal nicht.

***

Jordin war wieder da! Endlich!! Endlich hatte ich wieder Grund, mich von Herzen zu freuen. Ich hatte ihn zu einem gemütlichen Essen eingeladen, wie es uns als Cousin und Cousine selbst bei strengster Auslegung des Protokolls zustand. Vom ersten Moment an spürte ich, daß er ein anderer Mann geworden war. Sein Extrahirn war jetzt aktiviert. Es war aber mehr als das. Jordin hatte die Angst überwunden, die ihn an seine Kindheit fesselte. Daß er immer noch mein vertrautester Freund wie damals war, war ein Geschenk. Wie leicht hätte er auch mich und unsere Liebe abstreifen können auf dem Weg zum Erwachsenwerden. So aber war es ein bittersüßer Abend. Er liebte mich, das ahnte, nein das wußte ich genau. Ich liebte ihn auch. So wie immer. Heute den erwachsenen Jordin noch mehr als meinen Kinderfreund. Was sollten wir nur tun?
Plötzlich der mißtönende Lärm von unten, von meinem Gartenhof. Jordin sprang auf und zog seine Waffe. Er würde mich schützen, das wußte ich. Dies Wissen tat mir gut. Doch dann steckte er seine Waffe wieder ein und seufzte.
Ich begriff erst, daß es ein harmloser Scherz war, als ich Mascaren selbst sah, der in übermütigster Laune seine schrillen Gefährten anfeuerte. Vor Wut rasend wollte ich mich zurückziehen. Aber Jordin war besonnener als ich. Er hielt mich am Arm fest und zischte: "Laß' es. Wenn es nicht als mißglücktes Kompliment gedacht war, will Dich der Prinz auf die Probe stellen. Bewahre Haltung. Bleib stehen und lächle überlegen. Und dann schick die Truppe mitsamt dem Prinzen weg. Ich warte derweil im Salon auf Dich."
Lächeln? Für diesen Haufen versoffener Schwachköpfe sollte ich lächeln?
"Nein, ich tue es nicht."
"Dann werde ich es für Dich tun, Liebstes. Ich werde dafür sorgen, daß er damit aufhört."
"Und uns zum Tagesgespräch am Hofe machen? Nein. Wenn ich einen Beschützer bräuchte, dann hätte ich mich schon lange meinem hochedlen Cousin hingegeben. Aber ich will frei sein. Frei, Dich zu lieben. Also werde ich auch für meine Freiheit kämpfen."
Noch tobte die Wut in meinem Kopf. Dennoch wurde mein Blick für einen Moment sanft, als ich Jordin ansah. "Danke, für Deinen Beistand." Nach einem Moment des Überlegens:
"Könntest Du meinen Hofmeister bitten, für die Sänger einen Imbiß vorzubereiten?"
Dann wandte ich mich wieder der Terrasse zu und blickte in den festlich beleuchteten Hof hinab. Die schrille Musik ging weiter. Die Wache ließ sich kurz sehen, zog sich aber zurück, nachdem sich der Kristallprinz zu erkennen gegeben hatte. Ich zwang mich, das seltsame Konzert mit aufrechter Haltung zu ertragen. Ihre Worte drangen bis zu mir hinauf.

Wenn die Blätter fallen in den Gärten Arkons
Wenn die Sonne ihre Kraft verliert
Wenn der Himmel sich im Grau der Sterne zu verlieren scheint
Wenn die Nacht den Tag verdrängt
Dann lacht sie kalt -
Die Königin aus Eis
Ein Singvogel erhebt noch einmal seine Stimme
Versteckt Dich vor ihrer kalten Macht
So mahnt er mich.

Zu spät.
In kalter Pracht kommt sie mir nah.
Beweg Dich, Prinz,
so schreit mein Herz.
Du wirst Dich nach Wärme sehnen,
spürst Du das nicht?
Merkst Du das nicht?
So glaub' mir doch...

Mit ihrem Kuß versteinert sie meine Seele
Sie kommt zu mir im Dunkel
Und wenn sie mir von Liebe flüstert, gefriert mein Herz.
So gebt mir Kraft, Sternengötter, die Kälte zu überstehen.


Unten umarmte ein sichtlich angetrunkener Mascaren den Torpfosten und schmetterte mir seinen Hohn ins Gesicht:

Wo sie wütet,
endet das Leben.
Dort droben, dort,
liegen die Ruinen ihrer Kälte.
Unsere Welt liegt vor ihr,
überdeckt mit ihrem das Leben tötenden Mantel aus Eis.

Die Sonne geht wieder auf,
Und mit ihr die Wärme, die unsere Welt belebt und rettet.
So gebt mir Kraft, Sternengötter, solange auszuhalten.
Bis die Sonne wieder am Himmel scheint.
Bis mich Wärme bis ins Innere erreicht.
Bis ihre Macht für immer gebrochen ist.

Mit ihrem Kuß versteinert sie meine Seele.
Sie kommt zu mir im Dunkel
Und wenn sie mir von Liebe flüstert, gefriert mein Herz.
So gebt mir Kraft, Sternengötter, die Kälte zu überstehen.


Mit stolzem Blick, scheinbar unbewegt, hörte ich dem Gesang zu. Daß meine Augen flackerten und letztendlich tränten, konnte niemand sehen. Wer waren diese Lümmel, daß sie eine Prinzessin von Arkon so beleidigten?
Gleich darauf verließ ich meine Terrasse und ging in mein Ankleidezimmer. Ich warf einen Umhang über mein bequemes Hausgewand und ging zu meinen unwillkommenen Gästen hinunter. Die Musikanten wurden mittlerweile in meinem Hof mit warmen Getränken und feinen Häppchen versorgt. Sie bemerkten mich zunächst nicht. Vor allem nicht Mascaren, der immer noch an einer der Säulen lehnte, die einen auch im heißesten Sommer schattigen Arkadengang rings um meinen Gartenhof bildeten. Es ist erstaunlich, wieviel Mühe wir Arkoniden uns in unseren hochtechnisierten Palästen geben, damit der Luxus so natürlich wie möglich wirkt. Als ganz natürliches Gefühl erschien mir auch der helle Zorn, der mir Flügel zu verleihen schien, so lautlos kam ich den Laubengang entlang. Nur so konnte ich mir erklären, daß Mascaren mein Kommen nicht hörte. Er besprach sich mit einem seiner Gefährten und ich konnte seine Worte hören, obwohl er mich nicht sah.
"Hast Du herausgefunden, wer der Kerl bei der Prinzessin war?", fragte der Kristallprinz barsch.
"Klar. War auch nicht anders zu erwarten: Jordin da Orbanaschol, der Khasurn-Erbe." Der Gefährte verzog spöttisch die Lippen, wie ich durch den üppigen Pflanzenbewuchs sehen konnte. Mascaren stand immer noch mit dem Rücken zu mir, so konnte ich nicht erkennen, wie er reagierte.
"Meine Braut pflegt standesgemäßen Umgang, zumindest das: Heymerk da Orbanaschols einziges Kind. Ich kenne ihn nicht persönlich. Was macht er und warum bist Du nicht überrascht?"
"Überrascht? Atlan - die beiden kleben doch aneinander. Offiziell sind sie ja nur einfach Cousin und Cousine, ihre Mutter war Heymerks Schwester. Tatsächlich ist der Junge der Bastard von Heymerks Frau Kylene, eine der Orcasts, weißt schon."
"Also sind die beiden gar nicht verwandt? Und wissen das?", fragte Mascaren, der offensichtlich nicht ganz auf dem Laufenden beim Hofklatsch war.
"Nein, nein, die sind schon wirklich verwandt und deshalb denkt sich niemand was bei diesen Besuchen. Aber die Blutsverbindung läuft anders rum: Jordin ist der Bastard, den Orbanaschol III. mit der Frau seines Cousins Heymerk gezeugt hat, um dem zeugungsunfähigen Heymerk einen Orbanaschol-Erben zu verschaffen. Yagthire und Jordin sind deshalb doppelt über Orbanaschol III. verwandt: Sie ist die Tochter seiner Cousine und seines Bruders, er ist der Sohn. Allerdings nie anerkannt. Nicht von Orbanaschol, meine ich. Offiziell ist Jordin natürlich Heymerks Sohn und völlig legitim dessen Erbe. Ist ja auch egal, wie es scheint. Im Moment ist er gerade dabei, seinem Abschluß in IPRASA zu machen, die ARK SUMMIA hat er schon. Eigentlich ein netter Kerl, wie mein kleiner Bruder meint, der Jordin gut kennt."
"Warum sagst Du, daß die beiden aneinander kleben?" Der Gefährte lachte.
"Atlan, Du solltest Dir mal wirklich die Zeit nehmen, die Beziehungen hier im Kristallpalast auszuloten, statt Dich hauptsächlich für Dein Flottenkommando zu interessieren. Yagthire wuchs zusammen mit Jordin an Orbanaschols Hof auf, im Haushalt der alten Ashlea. Das verbindet."
Richtig erkannt, dachte ich.
"Mein Alptraum wird wahr. Gleich zwei Schlangen, die die Orbanaschols genährt haben?" "Sag' sowas nicht. Immerhin ist Yagthire Deine Braut."
"Ja, leider. Komm', wir verschwinden hier. Am Ende kommt Ihre Hoheit noch und wünscht eine Entschuldigung." Mascaren packte seinen Freund und ging.
Ich atmete laut aus. Da sag' nochmal einer etwas Kritisches über meine Abneigung gegen den Kristallprinzen, den ich heiraten sollte. Diese beruhte ganz offensichtlich auf Gegenseitigkeit. Aber meinem Vater war das völlig egal, wie ich nur zu gut wußte.
Ich trat ins Freie hinaus und grüßte die immer noch zahlreich anwesenden Freunde meines Verlobten. Viele der Musikanten kannte ich - Söhne der besten Familien Arkons. Mit freundlicher Geste bot ich ihnen Speis' und Trank an. Erblassend wurde ihnen offensichtlich klar, was sie gerade getan hatten: die Tochter des Imperators beleidigt. Potentiell. Denn ich tat freundlich, bis sie alle meine Appartements verließen. Jordin war schon längst gegangen, nachdem er mit durchdringenden Blick gecheckt hatte, ob ich der Situation überhaupt gewachsen war. "Das werde ich, mein lieber Schatz", dachte ich. Und beschloß, Mascaren eine unvergeßliche Quittung für diesen peinlichen Stunt zu verpassen.

***

Arkoniden sind von Natur aus sehr emotionale Menschen. Deshalb ist die ARK SUMMIA eine wesentliche Voraussetzung für jegliche Form der Karriere. Nur die aus der Dagor-Praxis stammenden Beherrschung in Verbindung mit einem aktivierten Extrasinn erlaubt es einem Arkoniden, verläßlich und seelisch stabil das Kommando zu führen. Ich hatte gehofft, selbst einmal zur Prüfung zugelassen zu werden, die auch Frauen offenstand, aber das hatte Onkel Orbanaschol III. verhindert. Es war wohl wie ein Schock für ihn gewesen, als meine Eltern sich nach Jahren der Trennung plötzlich lange genug versöhnten, um ein Kind zu produzieren, das wie er selbst zur Hälfte Orbanaschol- und zur Hälfte Gonozal-Blut besaß. Ich bin nicht sicher, ob ich als männliches Kind lange überlebt hätte. Immerhin war mein Vater der ältere der beiden noch lebenden Gonozal-Brüder. So aber verlangte Orbanaschol nur das Erziehungsrecht und gab mich in die Obhut seiner Mutter, die schon meinen nur ein Jahr älteren Cousin Jordin erzog. Jordin, der insgeheim zu Orbanaschols Nachfolger bestimmt war. Während er also wie ein künftiger Imperator erzogen wurde, sollte ich auf die Frauenrolle reduziert bleiben. Ja, noch mehr: eher auf die Rolle einer unwissenden Zweitfrau als auf die einer Arkonidin aus hoher Familie.
So wirkte es jedenfalls nach außen hin. Insgeheim aber ließ mich Großmutter Ashlea zusammen mit Jordin in Dagor und in vielem anderen unterrichten. Zudem brachte sie mich in engen Kontakt mit der Hohepriesterin der Totenwelt, die wie ich eine Gonozal war. Noch heute muß ich grinsen, wenn ich daran denke, wie Großmutter Onkel Velox die häufigen Besuche der Arkanta und meine Aufenthalte auf Hocatarr versüßte: vielleicht wird das Kind ja einmal eine Priesterin und sogar die nächste Arkanta? Das konnte Onkel Velox nur gefallen... Arkanta Kertyle half mir, meine Fähigkeiten unauffällig weiterzuentwickeln. Auch wenn ich kein aktiviertes Extrahirn besitze: in der Regel habe ich mich ebenso gut unter Kontrolle wie die ARK SUMMIA-Absolventen. Das war auch bitter nötig an einem Hof wie dem in der "Schlimmen" Zeit. Oft denke ich, daß wir es alle nur Großmutter verdanken, daß wir gesund und unbeschadet bis in Vaters Regentschaft kamen. Einmal habe ich sie gefragt, warum sie nicht auch Mascaren schützte, damals. Sie sah mich sehr traurig an und sagte:
"Weil ich ihn nicht für Mascudars Sohn hielt. Ich glaubte, daß Mascaren tot und dieser 'Atlan' nur ein Doppelgänger und Werkzeug der Opposition war. Ich habe versucht, mit Yagthara, Mascarens Mutter, zu sprechen, aber sie war damals schon seltsam und so bekam ich nichts aus ihr heraus, was meinen Verdacht gegen diesen 'Atlan' ausräumte. Da Upoc den Thron nicht wollte, war mein Sohn Velox letztendlich doch der legitime Imperator als dritter Sohn von Gonozal VI. Wenn auch mit verachtenswerten Mitteln auf den Thron gekommen. Aber er war dennoch mein Sohn. So wie Ihr alle meine Familie wart und immer noch seit." Sie lächelte ein wenig schicksalsergeben und sagte dann: "Ich habe Mascaren im Stich gelassen und werde den Preis dafür zahlen müssen, wenn er den Thron besteigt. Aber wenigstens ist mein Gewissen rein."
Den Preis zahlen. Das befürchtete ich auch. Mascaren konnte unsere Seite der Familie nicht leiden, das wußte jeder. Diese Orbanaschols, so nannte er uns.
Ich habe im Nachhinein oft gedacht, daß ich damals Mascarens Abneigung nur zurückgespiegelt habe. Er hasste mich, also hasste ich ihn. Er war skrupellos, wenn er etwas für richtig hielt und so war ich es auch. Nur war ich im entscheidenden Moment schneller und besser als er. Heute weiß ich, daß dieser Gedanke falsch ist. Ich bin selbst für das verantwortlich, was ich tat. Mascaren war wie alle Gonozal: hart und rücksichtslos, wenn es seiner Meinung nach sein mußte. Es hat lange gebraucht, bis ich verstand, daß Vater und ich genauso waren bzw. sind. Selbst Jordin bei all seiner Liebe zu Arkon und unserem Volk ist kompromißlos, auch wenn er es nicht wahrhaben will. Man kann ein Reich mit Güte regieren, aber nicht mit Schwäche.
Fehlte mir der Rat eines Extrasinnes? Ich weiß es nicht. Es fiel mir jedenfalls nicht auf, als ich meine Intrige gegen Mascaren spann...

***

Das Fest war in vollem Gange als ich eintrat und mich nach meinem Opfer umsah. Durch langjährige Erfahrung gewitzt, erledigte ich die kurzen Gespräche mit Vaters Gästen, die mir die Höflichkeit aufzwang, während ich mich unauffällig anschlich. Noch einen Moment und ich hatte ihn da, wo ich ihn haben wollte. Admiral Sakal war Mascarens Vorgesetzter und wußte am besten Bescheid über meinen Verlobten und seine derzeitigen Einsätze. Er war nur kurz im Kristallpalast, um die Lage an der Front mit Vater und dem Großen Rat durchzusprechen. Trotzdem hatte er sich dem zu seinen Ehren gegebenen Fest nicht entziehen können. Was war natürlicher für mich, als dem Ehrengast meine Aufmerksamkeit zuzuwenden? Ich hatte dafür gesorgt, daß Sakal noch nichts zu essen serviert worden war. Statt dessen lud ich ihn nun zu einem Dinner in der imperialen Loge der großen Festhalle ein. Wie konnte er ablehnen? Ich hatte ihn da, wo ich ihn wollte. Vater hatte sich schon zurückgezogen und kein Gast des Festes würde es wagen, uns zu stören, während wir in voller Sicht des Festtrubels speisten. Was wir allerdings sprachen, würde unser Geheimnis bleiben.
"Admiral, ich freue mich sehr."
"Die Freude ist ganz meinerseits, hochedle Prinzessin."
Dabei sah mich der alte Fuchs sehr mißtrauisch an. Er hatte nicht umsonst diesen hohen Rang erreicht. Er wußte, das ich etwas von ihm wollte. Deshalb wartet ich nur, bis unsere Vorspeise serviert war und meine persönlichen Diener uns wieder alleine gelassen hatten, bevor ich direkt zum Angriff überging.
"Admiral, lassen Sie uns doch auf alte Zeiten trinken", sagte ich und erhob mein Glas. Er mußte es mir nachtun, war aber auf der Hut.
"Admiral, ich verfolge Ihre Karriere schon, seit ich ein Kind bin", schien ich ihm zu schmeicheln. Er war klug und verstand sofort.
"Hoheit waren damals eine besondere Zierde des Hofes", erwiderte er.
"Eine mit besonders großen Ohren", lachte ich spöttisch.
"Kommen wir zur Sache." Ich trank langsam und beobachtete ihn scharf. Er war sehr unruhig geworden.
"Ich sehe, daß Sie mich verstanden haben, Admiral", sagte ich. Dann beruhigend: "Es liegt nicht in meinem Interesse, meinem Vater zu sagen, an was ich mich aus den Tagen von Imperator Orbanaschol III. erinnere."
Er hatte genug gehört. Einige der Dinge, die ich meinem Vater erzählen und auch beweisen konnte, waren unappetitlich genug.
"Ich danke Eurer Hoheit für Euer Verständnis. Wie kann ich mich erkenntlich zeigen?"
"Das können Sie in der Tat." Pause. "Sagen Sie, wie geht es meinem verehrten Cousin, dem Kristallprinzen, so im Moment?"
Er erstarrte, glaubte nicht recht gehört zu haben. Dann schien er sich seine dunklen Gedanken zu verbieten und fing an zu hoffen, daß er leicht von meiner Angel entkommen konnte.
"Der Prinz bewährt sich hervorragend. Er hat vor kurzem bei einem Einsatz im Larsaf-System am Rande des Großen Imperiums eine erstaunliche Entdeckung gemacht. Dabei hat er uns auch die Pläne eines neuen Waffensystems besorgt."
Ich hatte davon gehört. Das war der eigentliche Grund meines Treffens mit Mascarens Vorgesetztem.
Während ich die Suppe servieren ließ, lächelte ich dem Admiral erneut zu. "Es wäre mir sehr lieb, Admiral, wenn der Prinz sich wieder um diese seltsamen Vorkommnisse kümmern könnte. Das ist so beruhigend, wissen Sie? Dann ist die Sache in guten Händen. Sagte man mir nicht, daß eine unbekannte Macht dort ganze Planetensysteme entvölkert? Das ist doch die passende Aufgabe für den Erben des Reiches?"
Nun wußte er endgültig Bescheid. Ein Himmelsfahrtskommando für den Kristallprinzen. "Hoheit, das kann nur der Imperator befehlen. Der Prinz verlangt, von Larsaf wieder abgezogen zu werden. Ich werde diesen Wunsch morgen beim Großen Rat vorbringen müssen."
"Das werden Sie nicht tun. Sonst trage ich morgen ganz andere Dinge dort vor, Admiral." Er kämpfte mit sich. Schade, daß er so ein Charakterschwein war. Als Flottenbefehlshaber war er sicherlich eine gute Wahl.
"Sie haben gewonnen, Hoheit", sagte er nach einer Weile widerwillig.
"Gratulieren Sie nicht vorschnell." Ich sah ihn durchdringend an. "Sie werden morgen schweigen. Bei der Rückkehr auf Ihr Flaggschiff finden Sie Befehle für den Kristallprinzen vor, die mit dem Code des Imperators codiert sind. Sorgen Sie dafür, daß der Prinz diese Befehle ohne Rücksprachemöglichkeit mit Arkon ausführt. Danach blockieren Sie alle Kontaktmöglichkeiten des Prinzen mit Seiner Erhabenheit. Wenn der Imperator nach dem Prinzen fragt, sagen Sie, er sei im Einsatz und derzeit nicht zu erreichen. Das wird mein Vater vermutlich akzeptieren. Notfalls können Sie mir aber Bescheid sagen und ich kümmere mich dann. Verstanden?"
Er nickte. "Verstanden, Eure Hoheit."
"Das freut mich, Admiral." Ich schob meinen Teller beiseite und erhob mich vor den Augen aller Festbesucher. Ihm blieb nichts anderes übrig, als selbst aufzustehen und mich hochachtungsvoll zu verabschieden. Während ich ging, hörte ich, wie er eine Flasche hochprozentigen Arkontar bestellte. Den heftigen Stoff hatte er sich wahrlich verdient, dachte ich, während ich mich lächelnd vom Fest verabschiedete. Langsam senkt sich die Waagschale zu meinen Gunsten, Mascaren.
Es dauerte nicht lange und ich hörte von Admiral Sakal. Mascaren hatte das Geheimnis der Wellenfronten teilweise gelöst. Es handelte sich um natürliche Eriegnisse, die von denkenden Wesen lediglich ausgenutzt wurde. Mascaren war entschlossen, seine angeblich vom Imperator stammenden Befehle zu befolgen und Larsaf III. zu verteidigen. Das fand ich gut, wie ich dem Admiral mitteilte.
Ich befahl ihm, Mascarens Meldungen weiterhin im galaktischen Nichts verschwinden zu lassen, während Beruhigendes nach Arkon übermittelt wurde. Eine der neuen Konverterkanonen? Nicht für Mascaren. Neue Schiffe? Wurden an der Front doch viel dringender gebraucht. Kein Problem, im derzeitigen Chaos damit durchzukommen.
In diesen Tagen nahm ich mir die Zeit und besuchte einen anderen ehemaligen Würdenträger meines schrecklichen Onkels. Kolthar da Cirol war Wissenschaftler und Ästhet. Als solcher hatte er manches Fest bei Orbanaschol genossen. Nach der Thronbesteigung meines Vaters besann er sich wieder auf die trockene Forschung und war nun für die Aktualisierung der Astrogatoren-Datenbank verantwortlich. Nach kurzer Überlegung war auch er erstaunlich kooperativ. Die Koordinaten von Larsafs Stern veränderten sich in wundersamer Weise, während der wahre Standort des Sternensystems zum verbotenen, weil gefährlichen Gebiet wurde. In spätestens zwei Monaten würden alle Datenbanken aller Schiffe und alle Positroniken auf den zum Imperium gehörenden Planeten entsprechend der Zentraldatenbank aktualisiert sein. Dann konnte niemand mehr Larsafs Stern finden. Zumindest hoffte ich das. Denn noch wütete der Krieg und verschaffte mir Aufschub.
Irgendwann hörten die Meldungen von Mascaren einfach auf. Admiral Sakal stand zu dieser Zeit in direktem Feindkontakt. Ich bedauerte es wenig, als wir erfuhren, daß sein Flaggschiff in Feindesberührung geraten war und dabei vernichtet wurde. Wieder senkte sich die Waagschale ein wenig mehr. Die Sternengötter waren offensichtlich auf meiner Seite.

***

"Vater ist sehr krank", sagte ich beherrscht. "Er hat nochmal Schiffe ausgeschickt, die Mascaren suchen sollen. Wenn sie wieder erfolglos zurückkommen (und das werden sie, fügte ich innerlich hinzu), wird er den TEST zur Suche eines anderen Nachfolgers befehlen." Jordin nickte. Neuigkeiten wie diese sprachen sich schnell herum. Als Erbe der Orbanaschols war er trotz seiner umstrittenen Vaterschaft einer der ersten Kandidaten für den TEST. Ich kannte ihn seit meiner Kindheit. Seine Chancen standen gut. Aber sie waren nicht hundertprozentig.
"Ich bin zu einer sonderbaren Schlußfolgerung gekommen", sagte ich.
"Es gibt ein paar Dinge, die schlimmer sind, als in einer Lehmhütte auf einem abgelegenen Barbarenplaneten zu leben." Ich frage mich wirklich, warum mir immer wieder diese Vergleiche einfielen.
Jordin war unbewußt erstarrt. Aber er sagte nur: "Das habe ich schon immer gesagt. Es kommt nur auf die Gesellschaft an".
Ich blickte ihn immer noch nicht direkt an, beobachtete ihn nur aus den Augenwinkeln, während ich in den gepflegten Park des Kristallpalastes hinaussah, in dessen geordneter Schönheit und Perfektion ich mein ganzes Leben verbracht hatte.
"Das Leben im Kristallpalast ohne dich zum Beispiel ist schlimmer. Ohne die Hoffnung, daß wir irgendwann zusammenkommen."
"Das liegt nur an Deinem Vater. Ich würde eher heute als morgen um Dich anhalten, wenn mir nicht klar wäre, daß ich damit nur erreiche, daß wir uns nicht einmal mehr sehen können." Ich wußte, daß er die Wahrheit sagte und drehte mich zu ihm um, um ihm die ungeheuchelte Liebe und Sorge zu zeigen, die ich empfand.
"Laß' den TEST sein, Jordin, bitte. Ich weiß, daß Du darüber nachdenkst. Wenn Du erst der nächste Imperator bist, dann könnten wir endlich für immer zusammmensein. Aber das Risiko, daß Du es nicht oder nur als zweiter schaffst, ist mir zu groß. Wenn Du antrittst, mußt Du gewinnen oder der neue Imperator wird Dich töten lassen, selbst wenn Du den TEST überlebst. Laß' uns zusammen von hier weggehen. Laß' uns einen stillen Planeten suchen, auf dem wir beide glücklich sein können. Ich kenne Mittel und Wege, wie man Planeten einfach verschwinden lassen kann. Niemand kann uns dann mehr finden."
Mein Blick glitt über sein geliebtes Gesicht, das einen ungewohnten Ausdruck trug - Bedrängnis las ich dort, bis zu einem bestimmten Grad auch Abwehr. Aber auch Verlangen und Stolz. Enttäuscht sah ich wieder in den Park. Jordin hatte sich entschieden. Mit unerwartetem Zorn fuhr ich ihn an: "Warum hast Du mich damals, mit dem ersten, zarten, noch unsicheren Kuß dazu gebracht, Dich zu lieben? Und warum spannst Du mich jetzt so auf die Folter?". Er schwieg. Ein gequältes Schweigen. Dann ließ er sich auf ein Knie nieder, griff nach meiner Hand und zog mich in seine Arme. Der Teppich unter meinen Knien federte mich ab, seine Arme waren warm und voller Geborgenheit. Es war eine seltsame Umarmung. In diesem Augenblick kannte ich keine Verlegenheit mehr, nur noch das Verlangen, meinem Geliebten nahe zu sein.
Meine Hand glitt zu seiner Schulter hinauf und ich zog seinen Kopf zu mir herunter. Während dieses Kusses ließ ich ihn wortlos wissen, daß er alles haben konnte, was er haben wollte. Auch meine Zustimmung zu seinem Plan. Ich war Wachs in seinen Händen und er wußte es, genoß es und schien meine Liebe in großen Schlucken zu trinken.
Doch plötzlich hielt er inne. War es Einsicht oder Unsicherheit? Ich konnte es nicht erkennen. Er hatte sich aufgerichtet und sah zu mir herunter, die im weichen Flor des Teppichs lag wie ein geöffnetes Geschenk.
"Das hier ist erst der Anfang, mein Liebster, nicht das Ende." murmelte ich sanft. Sein Gesicht war mir immer noch fremd. Als sei es gegen ein unerwartetes Hindernis gestoßen, zerbrochen und nur unvollständig, stümperhaft wieder zusammengesetzt worden. Nackte Sehnsucht sprach aus seinen Augen.
"Du bist sehr freundlich, Prinzessin." Sagte er schließlich stockend.
"Aber wo nichts angefangen hat, taugt es nichts, vom Anfang und dem Ende zu reden."
Er hatte sich aus meinem Blickfeld entfernt. Erleichterte mich das? Ich konnte es nicht sagen. Ich blieb reglos liegen und betrachtete die Decke meines Zimmers.
"Was hast Du?" fragte ich schließlich. "Sag es mir, bitte."
"Es ist das erste Mal, daß ich das Gefühl habe, mit unserer Liebe gegen meine Prinzipien zu verstoßen."
"Warum?" fragte ich verständnislos.
"Wenn ich mich Dir das nächste Mal nähere, Prinzessin von Arkon, werde ich das Recht dazu haben und alle Welt soll wissen, daß ich Dich liebe und ehre, wie es Dir zusteht. Bis dahin aber dürfen wir uns nicht mehr sehen. Dein Vater ist mein Herr. Solange er Dich für die künftige Frau seines Kristallprinzen hält, begehe ich Hochverrat. Das aber kann nie sein. Leb wohl, mein Liebste."
Ich schloß die Augen und versuchte, seine sich entfernenden Schritte aus meinem Kopf auszublenden. Schon wieder die Arschkarte gezogen. Ich hasse Dich, Mascaren.
Am nächsten Tag schon kamen die ersten Schiffe zurück, wenige Tage später die anderen. Ergebnislos. Mascaren war und blieb verschollen und Vater beugte sich der Staatsräson. Der TEST wurde ausgeschrieben. Mascaren wurde wie nach der Ermordung seines Vaters wieder zum verschollenen Gos'athor Veretra erklärt, was ihm für immer und ewig das Recht gab, den Titel und die Vorrechte des Kristallprinzen zu nutzen. Dazu durfte er bei seiner Rückkehr, wenn er es denn wollte, den amtierenden Imperator zu einem Zweikampf um den Thron herausfordern. Noch nie war in der Geschichte Arkons außer Mascaren selbst ein verschollener Gos'athor Veretra zurückgekehrt und ich hoffte inständig, daß es bei diesem einen Mal bleiben würde.
Meine Verlobung endete offiziell: die Prinzessin da Gonozal war wieder zu haben. Jordin meldete sich zum TEST an.
In der Nacht vor dem TEST starb mein Vater. Der Thron Arkons war vakant. Der Große Rat bat mich, die repräsentativen Verpflichtungen des Thrones zu erfüllen, bis ein Nachfolger feststand. Zusammen mit meiner Großmutter und der Arkanta der Totenwelt machte ich mich ans Werk. Pünktlich zum feierlichen Staatsbegräbnis auf Hocatarr war der TEST beendet und der neue Imperator unser Ehrengast.

***

Vater ist tot, Mascaren verschollen und ich bin die Imperiatrix von Arkon, Gemahlin seiner Erhabenheit Orbanaschol IV.
Jordin hatte den TEST bestanden. Noch in der Nacht seiner Rückkehr von der Prüfungswelt kam er völlig erschöpft im Kristallpalast an und ließ sich bei Großmutter melden. Kurze Zeit später rief mich Großmutter zu sich. In ihrem Salon stand mein Liebster. Wir fielen uns in die Arme und ich wußte, daß uns nun nie mehr etwas trennen konnte. Selbst wenn Mascaren zurückkam, würde er meine Verbindung mit Jordin nicht mehr verhindern können. In unserem Innersten wurden wir zu Mann und Frau.
Am nächsten Tag zog Orbanaschol IV. offiziell im Kristallpalast ein. Die Krönungsfeierlichkeiten wurden vorbereitet, denn sie waren wichtig für das Imperium. Jordin hatte eigentlich noch warten wollen, bis ich meine Trauer um den Vater überwand, den ich so wenig gekannt hatte. Aber Großmutter machte ihm klar, wie bedeutsam die Krönung für seine Anerkennung als Höchstedler war.
Schließlich bekannte sich Jordin nach Rücksprache mit seinem offiziellen Vater Heymerk da Orbanaschol und seiner Mutter zu Orbanaschol III. als seinem natürlichen Vater. Er kündigte an, daß er der Prinzessin Yagthire da Gonozal, Tochter des verstorbenen Gonozal VII. seinen Antrag machen würde, sobald die Trauerzeit vorüber war. Kaiserinwitwe Ashlea wurde in ihrem Rang bestätigt, in ihrem Hofstaat im Kristallpalast blieb alles beim alten. Aber es wurde bekannt, daß ich während der Trauerzeit bei Großmutter leben würde und ihr kleiner Hof die große Hoftrauer einhalten würde, während der Rest des Hofes nur die kurze Spanne trauerte. Das Leben ging weiter. Vor allem im Kristallpalast von Arkon.
Das machte mir nichts aus. Jordin und ich konnten uns jeden Tag sehen und unsere Liebe blühte auf.
Orbanaschol IV. Regierungszeit ließ sich gut an. Vor seinem Verschwinden war es Mascaren noch geglückt, das Konzept einer neuartigen Waffe nach Arkon zu übermitteln. Vater hatte ihn dafür zum Flottenadmiral befördert.
Durch die Waffe konnte der Krieg letztendlich entschieden werden, obwohl immer noch hier und da Kämpfe auszutragen sind. Jordin und ich heirateten.
Als Imperiatrix habe ich die Versorgung der Angehörigen der im Krieg gefallenen Raumsoldaten zu meinem besonderen Anliegen gemacht. Es ist mir ein persönliches Bedürfnis, denn ich weiß, was es heißt, seinen Liebsten zu verlieren. Für mich gab es ein glückliches Ende, aber für viele Soldatenwitwen sieht ohne Hilfe die Zukunft düster aus. In der Öffentlichkeit werde ich als "Kaiserin der Herzen" dargestellt und das ist mir ehrlich gesagt schon fast peinlich. Unsere Untertanen lieben mich auch aus Mitgefühl: wie romantisch, daß auch ich meinen Verlobten im Krieg verloren habe. Nicht nur den Mann, sondern auch den Titel der Kristallprinzessin und späteren Imperiatrix. Dann aber wurde ich durch die Liebe des neuen Imperators doch noch auf den mir zustehenden Platz auf dem Kristallthron erhoben. Wenn die wüßten.... Ich bin kein Engel, wirklich nicht. Ich habe einen Schatten auf meiner Seele und bin nur froh, daß niemand, vor allem nicht Jordin, etwas davon ahnt. Das dachte ich jedenfalls. Bis Ihre Heiligkeit, die Arkanta der Totenwelt Hocatarr um eine Privataudienz bat.

***

Als mein Hofmeister die Arkanta ankündigte, ahnte ich übles. Das Gesicht von Kertyle da Gonozal war ungewöhnlich ernst. Ich entließ meine Damen mit einer Handbewegung und kam scheinbar erfreut auf unsere entfernte Verwandte zu. Es wurden schon oft talentierte Feuerfrauen in unserer Familie geboren. Der Rang einer Gonozal gab ihnen dann automatisch Vorteile bei der Wahl einer Arkanta als oberster Priesterin. Die Totenwelt ist aufgrund ihrer strikten Regeln ganz besonders auf den Schutz durch den Imperator angewiesen, denn die Priesterinnen selbst können oder wollen nichts tun, um Rechtsbrüche zu verhindern oder zu ahnden. Ihre Macht hatte andere Folgen für die, die gegen die Regeln im Reich der Toten verstoßen.
Meine alte Freundin Kertyle umarmte mich, dann sah sie mich nüchtern an und sagte: "Yagthire, Du bekommst ein Problem."
Ich war alarmiert. "Was ist denn los?" Bitte, dachte ich innerlich, nicht schon wieder eine mittlere oder größere Katastrophe, die meine Zeit mit Jordin noch mehr einschränkt. "Derzeit noch nichts."
Na, dann, dachte ich, bat Kertyle in meinen privaten Salon und bestellte zwei Gläser sanft schäumenden Früchteweins.
Wir setzten uns hin und warteten, bis meine Lieblingszofe die Getränke serviert und sich zurückgezogen hatte.
"Worum geht es, Kertyle?"
Meine Cousine sah mich nur an.
"Du hast Mascaren auf dem Gewissen, Yagthire."
Ich erschrak bis ins Innerste. Was wußte sie? Sie konnte nichts wissen. Niemand konnte etwas wissen.
"Wie meinst Du das? Ist das ein Erpressungsversuch?"
Ihr Gesichtsausdruck wechselte zu leichtem Mitleid: "Was hast Du, was mir fehlt? Was hast Du, was Du mir geben könntest? Selbst Dein Glück ist nur geborgt."
Ich schwieg und wartete ab. Das ist das erste, was man lernt, wenn man an einem Hof wie dem des Usurpators aufwachsen muß. Mund halten und auf das Beste hoffen. Danach unauffällig verschwinden und erst einmal untertauchen. Allerdings ahnte ich, daß mir diese bewährte Strategie diesmal nicht helfen würde.
Die Feuerfrau sprach weiter: "Ich weiß nicht, was Du getan und wie Du es geschafft hast, Deinen Verlobten loszuwerden. Aber ich sehe den schwarzen Schatten auf Deiner Seele und spüre, daß es mit Mascarens Verschwinden zusammenhängt. Du hast im Zweifel sein Blut an den Händen."
Zumindest hatte ich billigend in Kauf genommen, daß es dazu kam.
"Warum kommst Du erst jetzt? Es ist schon einige Jahre her, oder?", versetzte ich scharf.
"Yagthire, bleib' ruhig, bitte. Ich bin immer noch Deine Freundin, ja? Ich wußte es von Anfang an. Aber Mascaren hat als Rebell Atlan die Totenruhe seines Vaters geschändet. Das mußte bestraft werden. Dabei war es mir gleich, aus welchen Gründen Du diese Strafe exekutiert hast."
Ihre Augen hatte ihre Freundlichkeit verloren, sie war jetzt jeder Zoll eine moderne Rachegöttin.
"Also schwieg ich. Du warst durch die Schatten genug bestraft. Ich hoffte, daß Jordin Dir über die Jahre Linderung verschaffen würde, daß Du Dein Geheimnis mit ihm teilen würdest und er Dir mit der Verarbeitung helfen könnte."
"Jordin die Wahrheit sagen?" Ich lachte wild. "Da kennst Du ihn schlecht. Er ist zu gut, zu ehrlich und innerlich zu schön, um diese Wahrheit über Mascarens Verschwinden ertragen zu können. Er würde nicht mehr Imperator sein wollen, auf einem gestohlenen Thron. Es würde alles zerstören, was er, was wir aufgebaut haben. Es würde ihn auch innerlich zerstören, seinen Glauben an unsere Liebe, an unsere Freundschaft, das Vertrauen zwischen uns. Das kann ich nicht riskieren. Es geht nicht. Lieber schweige ich und lebe ich mit den Schatten."
Ich sah Kertyle an, daß sie wußte, wie ich litt.
"Es wird Dir vermutlich nichts anderes übrig bleiben, als ihm die Wahrheit zu sagen. Deshalb bin ich hier. Um Dich zu warnen."
"Wovor?"
"Jordin hat mich gestern getroffen, um mich über den 'Kuß der Großen Feuermutter' zu befragen. Er hat das Gefühl, daß er auch diese Prüfung wagen sollte, um Arkon noch besser zu dienen. Ich durfte ihn nicht belügen. Er bringt die Voraussetzungen mit, es ist sehr wahrscheinlich, daß er durch den 'Kuß' zum millionenäugigen Imperator wird."
Ich verstand. Jordin würde dann den Schatten sehen können. Er würde wissen. Nichts genaues, aber er würde das Blut sehen, das ich in Kauf genommen hatte, um ihn zu gewinnen. Das Blut seines, unseren Cousins. Gonozalblut. Das Blut des Kristallerbens.
"Ich hasse Dich, Mascaren," murmelte ich wieder einmal hilflos und verzweifelt.
"Wie ein Vampir saugst Du an meinem Glück. Was soll ich nur tun?"
Die Arkanta schüttelte nur den Kopf.
"Ich kann Dir nicht helfen. Du hast gehandelt. Eine Gonozal sollte immer für die Folgen ihres Handels einstehen können. Aber das ist leicht gesagt. Komm' her."
Wie die Mutter, die ich nie gekannt hatte, nahm sie mich in ihre Arme und versuchte, mein hoffnungsloses Schluchzen zu stillen.

***

Ich konnte einfach nicht glauben, daß Jordin es ernst meinte. Gut, seit vier Wochen war ich in meine Räume verbannt und hatte keinerlei Zutritt zu seinen Appartments. Meine Abwesenheit bei offiziellen Veranstaltungen wurde mit Krankheit begründet. Krankheit, dachte ich unwillig, während ich kerngesund und gelangweilt auf meiner Terrasse saß und in den wie immer perfekt gepflegten Park des Palastes hinunter sah, in dem Jordin gerade unser berühmtes Sommerfest gab. Ich trank noch einen Schluck der köstlichen Obstbowle, die jedes Jahr den Höhepunkt des Festes bezeichnete. Großzügigerweise hatte man auch mir, der Verbannten, einen Krug des begehrten Getränks zukommen lassen. Der Alkohol gab mir Mut. Ich ging in mein Ankleidezimmer und zog mein schönstes Ballkleid an. Jordin hatte es spontan geliebt und mir zärtlich vom Körper geschält, als ich es das erste Mal getragen hatte. Wir waren erst gar nicht auf dem Ball aufgetaucht, damals. In der glücklichen Zeit. Heute trug ich die Schmuckstücke, die unsere Liebe symbolisierten: Jordins weißen 'Stern von Arkon' in meinem Armband, meinen eigenen 'Stern' in aquatürkis in dem Band, das meine langen Haare von meiner Stirn zurückhielt. Normalerweise hätte ich einen Abendumhang mit den ineinander verschränkten Symbolen der Orbanaschol und der Gonozal gewählt. Heute war mein Umhang neutral und bedeckte Haare und Stirnreif mit einer Kapuze. Das Sommerfest war eine lockere Angelegenheit. Der Imperator würde sich ungezwungen unter die Gäste mischen, die maskiert sein durften. Das würde Jordin auch sein. Aber ich zweifelte nicht, daß ich ihn erkennen würde und zog meine Maske über meine Augenpartie. Über einen geheimen Gang betrat ich ungesehen den Garten des Kristallpalastes.
Ich kannte Jordin sehr gut. Er würde den ersten Teil des Abends mit handverlesenen Gästen sprechen, die trotz seiner Maskierung natürlich ganz genau wußten, wer ihnen da die Ehre gab. Nach der Hälfte aber würde er sich doublen lassen und in den Pavillon am See gehen. Um dorthin zu gelangen, mußte man das Labyrinth überwinden, dessen Lösung nur wenige auserwählten Freunde kannten.
Im Pavillon endete das Fest dann im munteren Freundeskreis bei reichlich Arkontar. So war es jedes Jahr gewesen. So würde es auch dieses Jahr sein. Zumindest hoffte ich das.
Ich hatte mir die Zeit sorgfältig ausgesucht. Um Jordin erst einmal ein Abschalten vom Trubel zu gönnen, kamen die Freunde immer erst ab einer bestimmten Uhrzeit. Davor war Jordin allein. Zumindest in diesem Jahr. Im letzten Jahr noch hatten wir unsere Zweisamkeit intensiv genossen, bevor wir die Nacht durchmachten wie in unseren Jugendjahren. Ich rechnete mit also eine gute Chance aus, ihn alleine anzutreffen.

***

"Man sagt, daß uns die Sternengötter nichts schenken, sondern uns ihre Gaben verkaufen. Ich war wie ein feingestimmtes Instrument. Aber meine Saiten waren irgendwann überspannt."
Jordin sah mich nur kühl an:
"Welche davon hast Du denn als Bezahlung gelockert? Dein Gewissen, nehme ich an. War das genug? Ich hoffe doch, Du bezahlst den vollen Preis an die Götter? Oder wird mir der Rest der Rechnung präsentiert?"
Seine ironische Stimme brannte wie Peitschenhieb.
"Nein", sagte ich lahm, "ich bin, glaube ich, immer kreditwürdig gewesen."
"Das habe ich bis vor kurzem auch gedacht."
Jordins Stimme kühlte um weitere Grade ab.
"Was erwartest Du von mir? Gnade doch wohl nicht? Kein Gonozal hat je dort Gnade erfleht, wo es keine gibt. Wo es keine geben kann."
Seine harter Ton bekam verzweifelte Untertöne.
"Vor mir steht das Abbild meiner Frau. Gekleidet in ihre Roben, geschmückt mir ihrem, unserem persönlichsten Schmuck. Aber wenn ich meine inneren Augen auf sie richte, steht da nicht meine Geliebte. Vor mir steht ein dunkler Schatten, hinter dem grausames Feuer tanzt. Wie kann ich diesen Anblick ertragen?"
Ich verstand. Die Arkanta hatte mich gewarnt und es war tatsächlich geschehen. Aber mußte er so kompromißlos gut sein? Konnte er nicht ein wenig Verständnis oder auch nur Mitleid zeigen? Ich hatte es doch für uns getan. Er war ja selbst zu nobel gewesen, um um mich zu kämpfen. Warum hatte er Mascaren nicht zum Duell gefordert? Wegen meinem Vater? Wegen der Verbrechen seines Vaters? Wegen seinem Treueeid dem Imperator gegenüber, der auch dem Kristallprinzen galt? Ich hatte es nie verstanden, aber ich hatte es ihm auch nicht übelgenommen. Jetzt aber machte es mich wütend, nur darüber nachzudenken. Ich hatte unsere gemeinsame Zukunft ermöglicht und dafür einen Teil meiner Seele verkauft. Seine Liebe hatte mir mein Licht wiedergegeben. Wenigstens teilweise. Den Rest zahlte ich als Preis für unser Glück. Als Dank stand er nun hier, trotz der Feststimmung stocknüchtern , ernst - und stieß mich zurück ins ewige Dunkel.
"Du solltest anfangen, Arkontar zu trinken, Jordin", sagte ich kalt. "Betrunkene Intoleranz ist schlimm genug, aber nüchterne Intoleranz ist absolut unerträglich".
Er hasste mich in diesem Moment mit Sicherheit. Auch er war ein Gonozal wie wir alle. Leider der Gonozal mit der Macht in den Händen. Noch vor Sonnenaufgang verließ ich den Kristallpalast und bezog Quartier in der Sommervilla am südlichen Meer, die ich von Vater geerbt hatte.

***

Die Tage vergehen sehr langsam am Meer, wenn man nichts zu tun hat. Aber sie vergehen. Bis sie schließlich ineinanderlaufen wie die Wellen unten am Strand. Manche mit Schaumkrönchen wie an den Tagen, an denen mich Freunde besuchen oder ich einen privaten Termin auswärts wahrnehme. Viele, eigentlich die meisten Tage sind wie Brandung, die still und friedlich zum Strand hin ausläuft.
Nur wenige Tage nach meinem Umzug suchte mich der Haushof- und Zeremonienmeister des Imperators in meinem Haus auf. Ich sah ihm an, wie peinlich ihm seine Pflicht war. Freundlich lud ich ihn zum Sitzen ein, aber er zog vor, mir die getroffenen Arrangements im Stehen zu erläutern. Jordin war großzügig. Ich durfte meinen gesamten Privatbesitz behalten und hierher mitnehmen, was ich wollte. Ich kann mich frei auf Arkon I bewegen, solange ich nicht versuchte, ihn zu sehen oder den Kristallpalast zu betreten. Ich wünschte mir, daß Großmutter noch lebte, dann hätte ich einen guten Grund dazu und sicher hätte sie mir geholfen, Jordin wiederzuerobern. Aber Ashlea da Orbanaschol starb vor drei Jahren friedlich im Palast und ruht seitdem auf Hocatarr. Auch diesen Planeten darf ich betreten. Tatsächlich steht mir das ganze Imperium offen, ich darf sogar über die imperialen Jachten verfügen und reisen, wohin ich will. Als wollte ich irgendwo anders sein als da, wo mein Mann sich aufhält.
"Wie sieht es mit Besuchern aus? Dürfen mich meine ehemaligen Damen hier aufsuchen, ohne mit Repressalien rechnen zu müssen?", fragte ich kühl.
"Seine Erhabenheit hat bestimmt, daß Euer Hof wie zuvor bestehen bleibt, um den Hofrang Eurer Damen zu erhalten." Das war sehr freundlich von Jordin. Aber so war er eben: freundlich und großzügig, bis man seine hehren Prinzipien ankratzte. Ich liebe ihn. Immer noch. Für immer. Hoffnungslos...
"Eure Damen dürfen Euch selbstverständlich hier besuchen, Euer Erhabenheit."
Ich rang mir ein gelassenes Danke ab.
Als der betont höfliche Hofbeamte gegangen war, lehnte ich mich wieder an die Brüstung meiner Terrasse und überlegte, wo ich stand. Es sah nicht gut aus für mich, das wußte ich. Jordin würde nicht über seinen Schatten springen. Ich hatte ihn zutiefst verletzt und verunsichert. Ich selbst konnte nichts mehr tun, das war auch klar. Der kaiserliche Apparat würde verhindert, daß ich den Imperator nochmals sah, solange er nicht wollte. Dies war der Beginn meiner Buße. Das einzige, was mich tröstete, war die Erinnerung an unsere glückliche Zeit zusammen und die Überlegung, daß auch Mascaren mich schnell losgeworden wäre. Vermutlich wäre er aber nicht so kulant gewesen. Also ging es mir jetzt besser. Also war meine Tat gerechtfertigt. Eine Zeit lang sollte diese Theorie mir beim Überleben ohne Jordin helfen.
Ich habe wieder mit der Malerei angefangen. Vater war nicht der einzige Gonozal mit künstlerischen Interessen. Ich fing an, mich mit seiner Musik zu beschäftigen und habe dabei einen ganz neuen Bezug zu ihm erhalten. Auch dafür ist es zu spät. Wir werden nie mehr unsere Meinung über Kunst austauschen können.
Morgen habe ich eine Ausstellung meiner Malerei auf Arkon II. Seit einiger Zeit halte ich mich gerne auf der Handelswelt auf. Inkognito natürlich. Das letzte Mal habe ich bei einem Kunst-Event einen Juwelenschleifer kennengelernt, dessen Handwerk mich interessiert. Nach der Ausstellungseröffnung werde ich mich von ihm in seine Kunst einweihen lassen.

***

Niemand kann sich vorstellen, wie geruhsam es ist, aus einem Kristall das Optimum an zarter Schönheit herauszuholen. Ich kann gar nicht genug von diesen Metamorphosen bekommen. Scheinbar habe ich Talent dafür, zumindest befriedigt mich das Ergebnis. Dazu kann ich mir das Rohmaterial gut leisten. Am spannendsten sind Mineralien von neu gefundenen Barbarenplaneten, denn hier betrete ich Neuland. Dank meiner Kontakte zur imperialen Administration habe ich schon einige ungewöhnliche Steine zur Erstbearbeitung bekommen und mache mir unter dem Künstlernamen Tirzal nach und nach einen Namen in einer Welt, die von Können lebt und nicht von Herkunft. Langsam fange ich wieder an, frei zu atmen. Vielleicht sollte ich einmal eine Expedition zu einem Barbarenplaneten begleiten...

***

In meinem Kopf schwingt die Erinnerung an Mascaren und Jordin: Mascaren auf einem Barbarenplaneten verschollen. Warum bin ich so sicher, daß er noch lebt?
Jordins Worte, damals, vor langer Zeit, als ich sagte: "Es gibt ein paar Dinge, die schlimmer sind, als in einer Lehmhütte auf einem abgelegenen Barbarenplaneten zu leben." Er hatte geantwortet: "Das habe ich schon immer gesagt. Es kommt nur auf die Gesellschaft an". Auf die von mir am meisten ersehnte Gesellschaft würde ich verzichten müssen. Aber die Gedanken an ein Leben auf einem Barbarenplaneten kommen immer häufiger und versprechen mir einen Frieden, den ich hier auf Arkon I nie mehr finden werde.

***

Enterox IV ist genau der richtige Planet für mich. Ich hatte es gespürt, als ich das erste Mal seinen Boden betrat. Der vierte Planet der Sonne Entera war erst vor kurzem zur Besiedlung durch arkonidische Kolonisten freigegeben worden. Sie sollten sich vor allem um die umfangreichen Bodenschätze kümmern, die dort entdeckt worden waren. Ich hatte von dem Planeten durch meine freundlichen Unterstützer in der Administration erfahren, die "Tirzal" die ersten Proben der auf dem Planeten gefundenen Kristalle überlassen hatten. Herrliche Steine!. Ich war fasziniert und spürte gleichzeitig ein sehnsuchtsvolles Ziehen in meinem Bauch. In meiner Arbeit als Juwelendesignerin hatte ich etwas Frieden gefunden. Plötzlich bildete ich mir ein, ach nein, wußte ich, daß es mein Schicksal war, nach Enterox zu gehen und mir dort ein Haus mit einer kleinen Werkstatt zu bauen.
Der Planet war schön und arkonähnlich. Es gab weite Meere, blauen Himmel und feinsandige Strände entlang der abwechselnd sanften und wilden Küsten der großflächigen Kontinente, die mit grünen Wäldern bewachsen war. Für Arkoniden erschien besonders die äquatoriale Zone geeignet, denn die dortigen Temperaturen entsprachen unseren Erfordernissen. Zudem war die Luft hier selbst in Tieflagen erträglich, während sie in höher gelegenen Gebieten dem Standard eines arkonidischen Erholungsort entsprach. In Halbhöhenlage mit Meerblick baute ich mir ein Haus. An den Mangel an Gesellschaft hatte ich mich schon lange gewöhnt, das Fehlen von geschäftigen Städten kannte ich auch von Arkon I. Ab und zu bekam ich Besuch von meinem Künstlerfreunden von Arkon II, auch die Arkanta ließ sich immer wieder mal bei mir sehen. Leider konnte sie mir nie etwas Neues von Jordin berichten. Der Imperator weigerte sich, über seine Ehe zu sprechen und aus Angst vor seinem Zorn hielt sich der ganze Hofstaat an diese Regel.
Nach einiger Zeit auf dem Barbarenplaneten mußte ich mir eingestehen, daß ich auch hier meinen Frieden nicht finden würde. Jordin fehlte mir mehr, als ich bereit war, zuzugeben. Zudem hatten die Träume von Mascaren und seinem Schicksal begonnen. Es war nicht mehr Administrator Kartem von Enterox, der die Kolonie hier aufbaute und dabei versuchte, die einheimischen Steinzeitwilden zu integrieren, es war in meinen Träumen immer wieder Mascaren. Ein Mascaren, wie ich ihn nicht kannte: Katastrophen suchten den Planeten heim und er verlor alles, was er besessen hatte. Immer und immer wieder begann er von vorne mit dem Wiederaufbau. Vergeblich. Dann starb sein letzter arkonidischer Gefährte und er blieb allein unter den Barbaren zurück. Verdammt zu einem einsamen Leben in der Wildnis. An dieser Stelle erwachte ich regelmäßig schweißgebadet auf. In meinem Herzen sammelte sich Verzweiflung, die teilweise die von Mascaren war, die aber auch aus meiner eigenen Schuld und Verantwortung stammte. Als die Arkanta das nächste Mal zu Besuch kam, war ich seelisch am Ende. Ich war erneut zum Bogen geworden, der immer weiter gespannt wurde. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis ich brechen würde.

***

Der Palast der Erinnerung hat viele Räume. Viele davon besucht man mit Vergnügen, wenn die Vergangenheit es erlaubt. Hinter der letzten Tür wartet die Erlösung. Wer vor dieser Tür steht, kann noch einmal zurück oder er wird eintreten. Aber er kann nicht lange im Vorraum warten, denn die letzten Räume vor der Tür werden von den Geistern der Toten belebt, an deren Schicksal man nicht unschuldig ist. Die Hofdame, die für einen dummen Spruch vor Orbanaschol erst ihre Tugend und dann ihr Leben verlor. Der junge Diener, der der unantastbaren Prinzessin einmal achtlos zu nahe kam. Der Admiral, der seine letzte Schlacht mit Verrat im Herzen schlagen mußte. Zuletzt der Prinz, der seine Prinzessin von ihrem Liebsten trennen wollte.
Man zögert nicht an einer solchen Schwelle. Früher oder später geben die Bande auf, die Körper und Seele an das Leben binden. Früher oder später muß ein Leben Konsequenzen haben. Rote Flüssigkeit rinnt die Hände der Suchenden hinab, die nach dem Schloß tastet, das das Tor zur Ewigkeit öffnet. Frieden wartet dahinter. Oder ewige Verdammnis.
Der Leka-Diskus beschleunigt. Kurs Arkon. Alle Codesignale auf Alarmstufe Rot - Imperialer Code. Der Palast ist informiert. Der Medorobot arbeitet auf Hochtouren. Die Arkanta überträgt Kraft in den stillen Körper. Noch lebt die Höchstedle.

***

Der Trakt des Palastes, in den sie die Imperatrix gebracht hatten, war den Mitgliedern des Hofstaates verboten worden. Kein Geräusch störte die Stille der kristallin glitzernden Wände, die alle Farbe verloren hatten und in vornehmer Blässe zu trauern schienen.
"Wissen Sie, was Sie erwartet, Euer Erhabenheit?" Die Arkanta, Oberste der Feuerfrauen und Herrin der Totenwelt, gab ihrer Stimme einen bewußt beruhigenden Ton, als sie den seit langem von seiner Frau strikt getrennt lebenden, nun aber dringlich herbeigerufenen Imperator empfing.
"Mir wurde berichtet", sagte Orbanaschol IV., "daß sie einen Unfall hatte und vermutlich nicht überleben wird. Das ist alles, was ich weiß. Wo ist der Bauchaufschneider?"
"Bei ihr. Kommen Sie, wir haben keine Zeit zu verlieren."
Die Arkanta eilte in für ihre würdevolle Art ungewöhnlicher Hast voraus.
"Es passierte vor zwei Tagen. Sie ist seither nicht wieder zu Bewußtsein gekommen."
"Sie sehen dafür so aus, als hätten Sie seither nicht mehr geschlafen, Arkanta."
"Wie hätte ich schlafen können?" fragte sie zurück.
"Wir mußten Ihre Erhabenheit so schnell wie möglich von diesem Planeten wegbekommen. Auf dem Flug zurück haben wir getan, was möglich war. Vermutlich war das nicht genug. Aber wir mußten es versuchen."
Vor der geschlossenen Tür zum Krankenzimmer der Imperiatrix blieb sie stehen, während die Zugangscodes überprüft wurden.
"Sie wollte sterben und ich habe sie bisher dazu gezwungen, weiter zu leben."
Der Imperator erstarrte. "Das wissen Sie nicht, Hochedle. Vielleicht überlebt sie, um Ihnen zu danken."
Die Tür glitt auf und der Leibarzt kam ihnen entgegen. Offensichtlich hatte er die letzten Worte seines Herrschers gehört. Sein Gesicht verdüsterte sich.
"ich widerspreche Eurer Erhabenheit nur ungern..,", begann er.
Die Arkanta maß ihn mit einem kühlen Blick.
"Dann tun Sie's nicht, sondern kümmern Sie sich um Ihre Erhabenheit."
Die Stille im Raum glich dem Wind über einem Eisplaneten. Dabei war es nicht kalt im freundlichen Zimmer. Die warme Sonne Arkons schien auf die blumengeschmückte Terrasse vor dem Raum, dem eine fröhlich, aber lautlos im Wind flatternde Markise Schutz vor zuviel Hitze bot. Blütenduft verströmte Hoffnung, während gleichzeitig das Sirren der Medorobots den Ernst der Lage signalisierte. Die hängenden Arme des sonst so fröhlichen Leibarztes sprachen ihrerseits Bände.
"Leider habe ich wirklich keine guten Nachrichten, Euer Erhabenheit".
Er schien sich kurz mit seinem Extrasinn zu beraten, dann wandte er sich mit einem seltsamen Blick an seinen Herrscher.
"Sie ist ihren Weg schon sehr weit gegangen. Kommen Sie ruhig näher. Sie können Ihre Erhabenheit jetzt nicht mehr stören."
Scheinbar wurde ihm klar, was er gerade gesagt hatte, denn er wurde rot, zog sich aber pflichtbewußt nicht einen Zentimeter zurück.
Das Lager, auf das man Yagthire gebettet hatte, stand im Zentrum des Raumes. Anders als in ihren privaten Appartments gab es hier keinerlei verspielte Kleinigkeiten, Nippes oder sonstigen Luxus, der aus einem großzügigen Raum erst ein Zuhause machte. Nichts störte den Blick auf die blütenweißen Microfaserlaken, mit denen der schmale, kindlich wirkende Körper bedeckt war. Jordin trat näher.
All die ungelenke Zartheit, die seine Kinderfreundin einst besessen hatte, bevor sie zur Frau wurde, trat jetzt wieder zutage. Damals aber war Yagthire lebendig gewesen, die Anführerin in einem Überlebensspiel mit seinem verrückten Erzeuger, das er erst viel später und fast zu spät erkannt hatte.
"Und so werde ich bestraft", sagte er laut, "weil ich besser sein wollte als die Welt um mich herum und dabei vergessen habe, welcher Wert in der Schwäche liegt. Der millionenäugige Imperator!" Er lachte verächtlich über sich selbst.
"Sie hatte vor, Euch alles zu erklären, Euer Erhabenheit", sagte die Arkanta.
"So, wollte sie das", sagte der Mann, der die Liebe seines Lebens verstoßen hatte. Es war nicht als Frage gedacht. "Warum tat sie das nicht? Warum machte sie mir nicht klar, daß ich ein Gonozal bin wie sie? Mit der gleichen Veranlagung zu Zorn und Stolz? Daß ich den gleiche Haß auf Mascaren fühlte, der mir die einzige Frau stehlen wollte, für die es sich zu leben lohnt? Mir half die Ark Summia und mein Extrasinn, meine Gefühle zu kontrollieren. Wer oder was hat ihr geholfen? Ich jedenfalls nicht. Damals nicht und diesmal auch nicht. Ich Narr!"
"Sie ist für ihr Leben selbst verantwortlich. Gonozal-Blut hin oder her. Aber ich stimme Euch zu, die Ark Summia hilft, unsere angeborene Impulsivität zu zügeln. Dennoch: es war ihre Einstellung zu sich und ihren Taten. Es war ihre Entscheidung, zu gehen. Vielleicht habe ich falsch gehandelt, als ich sie hierher zurückbrachte", sagte die Arkanta. Und fuhr fort: "Sie hat lange nach einer Erlösung von ihrer Schuld gesucht. Auf Enterox IV hat sie ihren Übergang gefunden."
Mit ihren empathisch-telepathischen Kräften schien sie die Bewußtlose abzutasten und sah schließlich mit traurigen Augen auf.
"Sie wird wahrscheinlich nicht mehr zurückkommen - sie hat ihren Fährmann bezahlt und er wird nicht mehr umkehren."
"Sie können nicht recht haben, Arkanta. Sie dürfen es nicht. Jeder Moment ihres Lebens ist kostbar. Sie gehört ins Leben, ins Licht - ich hätte es ihr zugestehen müssen.
"Wir sind mehr als Tiere, auch mehr als alle anderen Wesen in dieser und in allen Galaxien," sagte Jordin weiter, von plötzlicher Ruhe erfüllt.
"Aber selbst Tiere leihen den ihren ihre Kraft. Können wir nicht einmal das?" Er schwieg. Dann schrie er: "Kann ich nicht einmal das? Kann ich nicht einmal meiner Frau meine Kraft und meinen Schutz geben, wenn sie das braucht?"
Der kraftvolle Kontakt mit der Zhy-Fam schien wie ein Blitzschlag in den Raum einzuschlagen. Er wandte sich seiner Frau zu und sah mit hartem Blick auf sie hinab.
"Yagthire!"
Ich hörte meinen Namen. Jordins Stimme. Die Laken lasteten schwer auf mir, aber mein Körper selbst kam mir leicht und schwebend vor. Nur noch wenige Momente und ich würde frei sein. Endlich frei. Endlich von meiner Schuldenlast befreit. Ich lächelte schwach und ließ mich noch tiefer fallen.
"Yagthire", sagte er wieder. Immer heftiger. "Tiri, Liebste. Bleib' da. Bitte bleib' da. Verlaß' mich nicht."
Feuer schien sich in wilden Bändern um mich zu schlingen, schien mich zu verzehren. Unwillig kehrte ich zurück, um mich um mein Hinterland zu kümmern. Mit aller Kraft wehrte ich mich gegen die scheinbar sinnlose Gewalt, die mich an meinen Körper binden wollte. Immer weiter entfernte sich das ersehnte goldene Licht. Statt dessen wurde mein Körper schwerer. Aber was passierte wirklich, was war nur Traum? Ich roch aromatischen Rauch in der Luft, der Erinnerungen freisetzte. Eine Stimme, in der ich Mascaren zu erkennen schien, meinte spöttisch: "Schlafe gut, kleine Prinzessin". Unwillig wehrte ich mich. In meinem Traum stand er neben einem leuchtenden Tor und winkte mich zu ihm. Dahinter lag ein wildes, ungeordnetes Land. Der Barbarenplanet. Der Barbarenplanet!!! Ich stöhnte und öffnete voller Panik meine Augen, nur um gleißendes Licht zu sehen, ungehindert durch Filtertechniken. Wilde, barbarische Musik füllte meine Ohren, bis ich schrie und mir die Ohren zuhielt.
"Nein", schrie ich, "Nein, ich folge Dir nicht, Mascaren. Ich zahle, aber Du wirst mich nie besitzen".
Mascarens wütendes Gesicht, umrahmt von seinem weißblonden Haaren, verfolgte mich, als ich mich abwandte und wild davonrannte. Ziellos, ohne Ahnung, wohin ich fliehen sollte.
"Ich hasse Dich, Mascaren! Hasse Dich, Hasse Dich..." Mit jeder gebetsmühlenhaften Wiederholung, mit jedem Schritt verlor ich an Sicherheit, während meine Panik wuchs. Schließlich strauchelte ich und fiel hin. Ich konnte spüren, wie mich mein Feind verfolgte. Bald hatte er mich erreicht. Er würde erbarmungslos sein, das wußte ich.
"Jordin!!!" schrie ich schließlich mit all meiner verbliebenen Kraft, plötzlich geschlagen und vor Angst vor dem Sieger zitternd und Rettung suchend bei meinem Liebsten, dessen Ideale ich so schnöde verraten hatte, um wenigstens ein wenig Zeit mit ihm zu schinden.
"Jordin!! Hilf mir, bitte...", während mein Körper in krampfartiges Schluchzen verfiel, hörte ich seine zärtliche Stimme.
"Es ist ja gut, Schatz ist da, Schatz liebt Dich, Schatz beschützt Dich und Schatz kümmert sich um Dich." Unser alter Zauberspruch als Kinder, wenn wir vor Angst vor meinem Onkel Veloz, der gleichzeitig Jordins Vater war, in irgendeiner dunklen Ecke zitterten. Jordin war immer da gewesen. Er würde auch jetzt da sein. Beruhigt ließ ich Mascaren und meine Schuld hinter mir auf dem Barbarenplaneten zurück. Ich schloß meine Augen und glitt in tiefen Schlaf.

***

Meine schwere Krankheit hatte offensichtlich den schwarzen Schatten von meiner Seele getilgt, Jordin konnte mich wieder ansehen - er hatte nie aufgehört, mich zu lieben, er hatte mich nur nicht mehr ertragen. Das konnte ich nachvollziehen. So war es mir selbst ergangen. Auch ich hatte mich und das Wissen um meine böse Tat nicht mehr ertragen können. Wir sprachen uns aus und ich kehrte in unser gemeinsames Zuhause zurück. Die folgenden Jahre gestalteten sich friedlich und gut - sowohl für uns als auch für Arkon. Ich holte schließlich die Prüfung zur Ark Summia nach. Gar nicht so einfach für die geliebte, verwöhnte Frau eines Imperators. Jordin versuchte immer wieder, Informationen über Mascarens Verbleib zu erhalten und manchmal hörten wir seltsame, geradezu phantastisch klingende Dinge über ihn, die sich aber nie verifizieren ließen.

***

Vor einigen Tagen stand plötzlich ein fremder Mann auf unserer privaten Terrasse im Kristallpalast, als wir gerade beim Frühstück saßen. Es gab keinen Alarm, obwohl alle Sicherungssysteme zu funktionieren schienen. Er war einfach da, wie vom Himmel gefallen. Seine Kleidung war unauffällig, was man von seinen Augen nicht behaupten konnte. Er nannte sich Bote der Ewigkeit und selbst dem millionenäugigen Imperator gelang es nicht, ihn als Fälschung zu entlarven. Im Gegenteil: Jordin ist felsenfest überzeugt, daß der Bote die Wahrheit sprach. Er sprach über Dich, Mascaren. Du bist wirklich auf einem Barbarenplaneten gelandet und lebst noch. Wir dürfen Dich allerdings nicht mehr suchen, Dein Exil ist von höheren Kräften gewollt und wichtig für die Barbaren, für Arkon und die Zukunft. Als Lohn für Deine Dienste wurde Dir die Unsterblichkeit geschenkt und eines Tages wird Dir auch der Thron Arkons gehören, der Dir zustand. Allerdings, so sagte der Bote mit leichter Ironie, sei es nicht sicher, ob Du Dein Erbe unbedingt schätzen könntest.
Wir waren erleichtert und erfreut, daß wir Dir letztendlich doch nicht den Thron gestohlen hatten. Ob Dir die Position und die dazu gehörende Pflichte gefallen wird, ist letztendlich Deines, nicht unser Problem. Für unser privatestes Problem dagegen bekamen wir eine Lösung wie auf dem Präsentierteller überreicht: Jordin und ich haben zu unserem großen Leidwesen keine Kinder. Vermutlich wird einer von Jordins lebhaften und vielversprechenden Orcast-Neffen eines Tages sein Nachfolger als Imperator. Wir werden sehen.
Das große Privatvermögen Deines Vaters, meines Vaters und auch das von Orbanaschol III, das heute Jordin gehört, werden wir dagegen zu einem Vermächtnis für Dich zusammenfügen. Jordin nennt es spöttisch das 'Vermächtnis der Prinzessin, die nicht wollte'. Lassen wir das hier einfach mal so stehen.
Wir haben unseren Cousin Kilorian da Gonozal, den jetzigen Khasurnchef der Gonozal und stellvertretend für seine Nachfahren in der direkten Linie, dazu gebracht , Vermächtnishüter zu werden und seinerseits die Dir zustehenden Erbstücke der Gonozal mit in den Topf zu werfen. Die heutigen Gonozal sind reich genug und haben noch viel Zeit, neue Erbstücke zu schaffen, denn Kilorian ist ein vitaler, aktiver Mann und sehr gerne Vater.
Zum Vermächtnis gehört auch das ein- oder andere Planetensystem. Jordin hat diese Systeme per unwiderruflichem Dekret aus dem Großen Imperium herausgenommen und nur der arkonidischen Verwaltungshoheit unterstellt. Du wirst also in jedem Fall Herr eines eigenen Imperiums, in dem Du eines Tages nach Herzenlust schalten und walten kannst. Wo Du aber auch den Unterschied zwischen 'kämpfen ohne Rücksicht auf Verluste' und 'behutsam herrschen mit der Zukunft im Blick' lernen wirst und mußt. Denn auch Du hast das wilde Blut der Gonozal.
Der Tag wird kommen, an dem Dir der 'Hüter des Vermächtnisses' Dein Erbe ausfolgen wird, so hat es der Bote prophezeiht. Gesichert wird das Vermächtnis durch einen Khri'ahn-Kristall. Vater hatte eine Möglichkeit gefunden, die Kristalle durch Musik anzuregen und mit Schwingungen zu programmieren. Am Tag, als er sich mit Deinem vermutlichen Tod abfinden mußte, rief er mich zu sich und überließ mir drei Kristalle. Einer war für mich programmiert, einer für Dich. Der dritte für mich plus der Schwingungen eines noch zu findenden Mannes, ausgelöst durch meine Liebe. Er hoffte immer noch, daß dieser Kristall unser gemeinsames Eigentum werden würde. Es kam anders, wie Du weißt. Jordins und meinen Kristall wirst Du wohl in der Imperialen Schatzkammer sehen können. Vielleicht magst Du die beiden Sterne sogar einmal anfassen? Ich bin sicher, Du fühlst dann etwas von unserer Liebe. Vielleicht auch nicht. Aber bei Deinem Kristall müßtest Du Liebe und Heimat spüren. Denn sei versichert: es gab niemanden, den Upoc da Gonozal so liebte wie Dich, seinen Adoptivsohn. Du hattest das Glück, in den beiden Imperatoren namens Gonozal VII. einen liebenden Vater zu finden. Erweise Dich beider würdig, Cousin. Bruder in Vaters Geiste....
Wenn Du auf Dein bisheriges Leben zurückschaust: bedauerst Du etwas? Ich nicht mehr. Ich bin seit 81 Jahren mit der Liebe meines Lebens verheiratet. Eine lange Zeit für jede Ehe. Um so mehr gilt das für die Ehe des Imperators von Arkon. Wir sind schon lange wieder glücklich, Jordin und ich. Jordin ist ein weit besserer Herrscher als es sein leiblicher Vater, unser Onkel Veloz, war. Er ist stark, gerecht, vor allem aber gütig. Sonst wäre ich schon lange nicht mehr seine Frau. Diese Geschichte kennst Du nun. Erlaube mir, zu hoffen, daß auch Deine Geschichte irgendwann ein glückliches Ende nimmt. Nein, besser: wenn ich dem seltsamen Boten aus der Ewigkeit glauben kann, dann sollte ich Dir lieber Glück ohne Ende wünschen, Unsterblicher. Das ist ehrlich gemeint: mögest Du Jordin und mir nie dahin folgen, wohin alle Sterblichen am Ende ihrer Tage gehen. Wir beide legen nämlich immer noch sehr wenig Wert auf Deine Gesellschaft, verehrter Cousin Mascaren.

Epilog:
Mit einem letzten, wissenden und ironischen Lächeln, das mir sehr von meinem eigenen Spiegelbild her bekannt vorkam, verabschiedete sich meine ehemalige Verlobte. Der Speicherkristall erlosch. Ich blieb noch lange auf den bequemen Polstern liegen und sah ins schimmernde Meer hinaus, das mit dem unendlichen Himmelshorizont verschmolz und mir den Weg in die Ewigkeit zu weisen schien. 'Upoc's Stern' pulsierte in meiner Hand und sandte im Einklang mit meinem Zellaktivator wärmende Impulse durch meinen noch angespannten Körper. Ich bedauerte, Yagthire und unseren Cousin Jordin nie wirklich kennengelernt zu haben. Ich konnte es den beiden aber auch nicht verdenken, gerade darüber froh gewesen zu sein. Dennoch: einmal nur, einmal hätte ich so gerne die Lippen meiner Sternenprinzessin zum Schmelzen gebracht. Nun denn, hier und heute gab es eine Bekanntschaft mit einer anderen, gleichfalls, wenn auch auf andere Art, faszinierenden Prinzessin von Gonozal zu vertiefen und sicherlich würde mir die Zukunft noch einiges an Gelegenheit bieten, Lippen zu kosten und zu genießen. Ich war eben, wer, was und wie ich war.
"Ein Narr namens Mascaren Atlan da Gonozal", seufzte mein Extrasinn resignierend.
ENDE>

(c) Josephine Jangowski-Behrendt