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John E. StithDer Tag, an dem Manhattan geraubt wurde
 
Science Fiction Roman, Manhattan Transfer (1993), deutsche Erstausgabe, Bergisch Gladbach 1995, Bastei-Lübbe TB 23164, ISBN 4-404-23164, aus dem Amerikanischen von Bernhard Kempen, Umschlagillustration: Darrell Sweet, DM 12,90, 444 Seiten.
 
Rezensent: Peter Herfurth
 
Ein Fossil! Ein Fossil! Ich wäre ja zu gerne versucht, den vorliegenden Roman für ein Fossil zu halten, für einen Abkömmling aus düsterer, überwunden geglaubter Genre-Vorzeit, für einen Zeitgenossen von Ren Dhark und Perry Rhodan, aber das Inhaltsverzeichnis weist unmißverständlich 1993 als Jahr der Erstveröffentlichung aus. Der Name des Autoren, John E. Stith, war mir bislang noch nicht begegnet und auch mein (allerdings auch nicht ganz taufrisches) SF-Lexikon schweigt sich darüber aus, welcher Ewiggestrige hier den geschlechterpolitischen Rollback inszeniert: Abbys Gesichtsausdruck veränderte sich, als wollte sie etwas sagen, und Matt bemerkte, daß er sie schon ein paar Sekunden lang anstarrte. Sie sah so reizvoll aus, auch wenn der Helm ihren Zopf verunzierte. (S. 196) Stite würde vermutlich niemals auf die Idee kommen, eine männliche Figur in vergleichbarer Weise allein über ihre äußeren Attribute zu kennzeichnen und das dann auch noch für irgenwie positiv zu halten. Da mögen die Auerirdischen kommen und Manhattan entführen, hunderte von Todesopfern bereits auf den ersten Seiten. Hunderttausende, wenn nicht Millionen verängstigte Menschen - und was ist in dieser prekären Situation entscheidend für den Wert des Menschen? Bei den Frauen das Aussehen und bei den Männern der militärische Rang!
Matt blickte sie an. Er schien sich bereits etwas besser zu fühlen. Eine Andeutung seines Lächelns war zurückgekehrt. "Ich bin zum Anführer bestimmt. Das bringt einiges an Verantwortung mit sich." (S.217f) So ist das eben: Anführer folgen einer (höheren) Bestimmung und tragen heroisch an der damit verbundenen Verantwortung. Des Heroen frisch zerbrochene Ehe kann auch nur auf die Untauglichkeit der Gattin zurückgeführt werden (und nicht etwa auf irgendwelche wesensmäßig mit ihm in Verbindung zu bringende Details), außerdem wird damit praktischerweise der Weg frei für eine keimfreie neue Romanze, für eine (vor allem nicht allzu sexuelle) neue Frau!
Während kameratragende Frauen indes den Zweithelden abbekommen, bedarf es zur Erringung des Haupthelden der Befähigung, auf minimalster Basis Alienschriftzeichen entziffern zu können (was gegenüber den Stereotypen der 50er Jahre immerhin schon einen gewissen Fortschritt darstellt) - und natürlich der Einhaltung der militärischen Rangfolge. Wie überhaupt die militärische Rangfolge von elementarer Bedeutung zu sein scheint, immerhin wird sie alle ca. hundert Seiten aufs Neue für alle Ewentualitäten abgeklärt.
Ein Teil dessen, was einen guten Soldaten ausmachte, war die ständige Suche nach möglichen Wegen zum Erfolg. Ein anderer Teil war das Wissen, wann man sich ergeben mußte, um die Verluste gering zu halten.(S. 398) Ach so ist das? Und ich habe fälschlicherweise immer angenomen, Soldatsein hätte in irgendeiner Weise mit totmachen und verbrannter Erde zu tun. Und mit Heldentot, natürlich auch mit Heldentot...
Aber weder die Aussicht, mitsamt Manhattan von Aliens entführt worden zu sein, noch die drohende Auslöschung der zurückgebliebenen Restmenschheit vermag hier mehr als eine papierraschelnde Beunruhigung auszulösen, sieht man von einigen religiösen Eiferern und bombenlegenden Fanatikern einmal ab: Das also sind die New Yorker, wie sie im Buche stehen - und eben wohl nur dort.


Auf den gar nicht einmal subtilen Sexismus und Militarismus des Romanes haben wir also hingewiesen, auf seine bestenfalls notdürftige (massen-)psychologische Grundlegung ebenfalls. Wenn also per Rückumschlag Genre-Dinosaurier wie Arthur C. Clarke und Hal Clement als Referenzen angeführt werden, dann trifft das sogar auf den Punkt - nämlich im schlechtesten Sinne. Vielleicht könnte man Der Tag, an dem Manhattan geraubt wurde noch pubertierenden Jünglingen mit voll in Blüte stehender Angst vor dem anderem Geschlecht empfehlen...