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Armin und Heidrun Jänchen RößlerTabula rasa
 
Wurdack-Verlag; Taschenbuch; Reihe: Science Fiction Band 6; Originalausgabe; 226 Seiten; www.wurdackverlag.de
 
Rezensent: Andreas Nordiek
 
Mit "tabula rasa" liegt nun der fünfte Kurzgeschichtenband herausgegeben von Armin Rößler und Heidrun Jänchen im Wurdack Verlag vor. Enthalten sind 22 SF-Kurzgeschichten, die sich sprachlich fast allesamt auf einem sehr ansprechendem Niveau bewegen. Hier sei gleich die Arbeit der beiden Herausgeber gewürdigt, die sicherlich den einen oder anderen ihrer Autoren mit Verbesserungsvorschlägen gepiesackt haben.
Wenn man sich die Kurzvorstellungen der Autoren/-innen anschaut, dann fällt auf, dass allesamt bereits anderweitig veröffentlicht haben und über eine entsprechende Erfahrung im Umgang mit dem Medium Kurzgeschichte verfügen. Viele Namen sind einem auch aus Publikationen wie nova, phantastisch!, c't und den vorhergehenden Kurzgeschichtensammlungen des Wurdack-Verlags bekannt. Genannt seien hier Frank Hoese, Heidrun Jänchen, Armin Rößler, Frank Hebben, Uwe Hermann, Frank W. Haubold oder Edgar Güttge.
Bei solch einer Vielzahl von Kurzgeschichten ist die thematische Bandbreite entsprechend. Da im Durchschnitt eine Geschichte 10 Seiten umfasst, handelt es sich bei vielen um reine Pointen-Stories, die einem am Ende der Lektüre aller Kurzgeschichten kaum noch im Gedächtnis haften geblieben sind. Deshalb möchte ich auch nur einige wenige herausstellen, die mir am besten gefallen haben.
Der Opener von Frank Hoese "Tabula rasa" schmeißt den Leser gleich mitten hinein ins Geschehen. Ein Mann wacht mit einem Male ohne jegliche Erinnerungen in einer für ihn logischerweise völlig fremden Umgebung auf. Scheinbar heißt er selbst Eaves, da dieser Name überall hingekritzelt ist, so als wenn er sich selbst eine Botschaft hinterlassen hätte. Eaves beginnt mit der Erkundung seiner Umgebung und findet Schritt für Schritt heraus wo er sich befindet und was dies alles zu bedeuten hat. Die Story lebt von dieser intensiv geschilderten Suche und der leicht unheimlichen Atmosphäre. Als Opener wirklich zurecht dort platziert.
Gleiches zählt für Heidrun Jänchens Story "Das Projekt Moa" Auch hier ist es die erzählerische Dichte, die diese Pointenstory von den anderen abhebt. In nicht allzu ferner Zukunft wird die Fauna und Flora dieser Erde durch den Menschen sehr dezimiert sein. Zum Glück ist es dank moderner Biotechnologie möglich längst ausgestorbene Tiere wieder zum Leben zu erwecken. Auch Fabelwesen können begabte Genetiker erschaffen und Valborg zählt zu den besten in ihrem Fach. Als sie einige Exemplare der längst ausgestorbenen Moas erschaffen soll, nimmt sie den Auftrag eines Privatmannes selbstredend an, fragt sich allerdings was dieser mit nicht flugfähigen Riesenvögeln unternehmen möchte. Im Verlaufe der "Aufzucht" entwickelt sie eine Beziehung zu den Tieren und ziemlich geschockt, als sie den wahren Grund für den Auftrag erfährt. Zwar ist das Ende aus meiner Sicht ein wenig zu positiv geraten, aber der wahren Grund ihres Auftraggebers entspricht so ganz des menschlichen Wesens.
Frank Hebben gelingt es mit wenigen Sätzen eine fremdartige Welt zu erschaffen, die vielleicht doch gar nicht so fremdartig ist. In seiner Welt verehrt ein unterprivilegierter Wühler ein Mädchen aus höherem Stand. Um zu ihr vorzudringen verwandelt er mit hohem Aufwand sein Äußeres und schafft so auch die Aufmerksamkeit der Angebetenen zu erlangen. Als dann aber seine äußere Schale absplittert und sein eigentliches Ich zu Tage kommt, wird er rundweg abgelehnt und aus dem Kreis seiner Angebetenen verstoßen. Die gesamte Handlung ist durchaus auf menschliche Gesellschaften übertragbar (z.B. dem indischen Kastensystem oder fanatisch-religiösen Gemeinschaften) und entbehrt dadurch nicht einer gewissen Aktualität. Frank Hebben hat für mich eine der sprachgewaltigsten Kurzgeschichten beigesteuert, die mir wirklich längere Zeit im Gedächtnis haften blieb.
Uwe Hermanns "Die Wege des Großen Konstrukteurs" ist einer der wenigen humorvollen Beiträge dieser Anthologie. Eine Rasse von Aliens verkauft einer menschlichen Raumschiffbesatzung einen Duplikator, der wirklich alles duplizieren kann. Als Preis dienen alle zuckerhaltigen Nahrungsmittel. Freudig gehen die Menschen auf den Handel ein, behalten noch einen kleinen Vorrat an Nahrungsmittel, die sie ansonsten jederzeit duplizieren können und meinen ein überaus vorteilhaftes Geschäft getätigt zu haben. Allerdings nur bis zu dem Zeitpunkt an dem sie in Erfahrung bringen auf welchen Basisstoff der Duplikator angewiesen ist. Locker und gut zu lesen verfasst mit einer netten Idee versehen.
Es folgt der Herausgeber Armin Rößler mit "Das Herz der Sonne". Mitten dort hinein führt der Autor seine Leser in dieser überaus tragisch verfassten Kurzgeschichte, die auf mehreren Ebenen abläuft. Die Handlung stellt sich im Nachhinein als recht übersichtlich heraus. Dem Leser erschließt sie sich komplett aber erst am Ende, was sicherlich mit den Reiz ausmacht. Zudem verfasste Armin Rößler sie in einem sehr gefühlvollem Stil und bietet zwei wirklich gute Charakterisierungen. "Das Herz der Sonne" stellt eines der Highlights dieser Kurzgeschichtensammlung dar.
"Welt der Insekten" von Nina Horvath ist dann wesentlich geradliniger erzählt, verfügt aber über einen sehr konsequenten Schluss, der die Leser überraschen wird. In Horvaths Story wurde die Erde von Insekten-Aliens überrannt und die menschliche Zivilisation steht kurz vor ihrem Untergang. Bei einem Einsatz wird ein verletzter Soldat von den Insekten zwecks späterer Nahrungsaufnahme verschleppt und dann von Menschen gerettet, die gelernt haben zu überleben. Ihre kleine Enklave verfügt über das nötige Wissen, um sich zwischen den Insekten gefahrlos bewegen zu können. Der Soldat sieht für alle anderen nun ebenso eine Überlebenschance und dringt mit aller Macht darauf, dass seine Retter ihr Wissen verbreiten. Ein unmögliches Unterfangen, wie sich herausstellt.
Etwas ungewöhnlicher ist "Leben am Schlund" von Henning Mühlinghaus, der aus dem Konzept der Dyson-Spähre seine Idee für diese Kurzgeschichte hat. Durch seinen erzählenden Stil hebt sich diese Geschichte von den meisten anderen ab. Wörtliche Rede kommt in ihr nicht vor und da der Autor eine sehr fremdartige Lebensform beschreibt, erschließt sich dem Leser nicht gleich das Szenario innerhalb der ersten Absätze.
Bernd Schneider stellt in "KI 21" die Frage, ob nicht Künstliche Intelligenzen letztendlich auf den Menschen angewiesen sind und ihn nicht nur als rückständiges Produkt sehen dürfen, das ausgemerzt werden kann. Diese Fragestellung ist eingepackt in einer kleinen Krimihandlung, in welcher der Haupthandlungsträger nach einer verschwundenen KI sucht. Eigentlich kann eine KI nicht verschwinden und so muss mehr dahinterstecken als dies vordergründig erscheint. Schneider arbeitet hier mit einem durchaus philosophischen Ansatz und gerade deshalb erscheint seine Story gegenüber vielen anderen ungewöhnlich.
"Tabula rasa" bietet noch die ein oder andere lesenswerte Geschichte mehr. Wie oben bereits gesagt dürfte aufgrund der Vielfalt der hier vertretenen Kurzgeschichten für jeden SF-Leser etwas dabei sein.

Wer sich für deutschsprachige SF-Kurzgeschichten interessiert, der kommt an die Sammlungen aus dem Wurdack-Verlag nicht mehr vorbei.