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Cees NooteboomEin Lied von Schein und Sein
 
Erzählung, Een lied van schijn en wezen (1981), Taschenbuchausgabe (erstmals 1989 im Suhrkamp Verlag Frankfurt a.M.), Frankfurt a.M. 1997, Suhrkamp TB 2668, ISBN 3-518-39168-2, aus dem Niederländischen von Helga van Beuningen, Umschlagillustration: Gino Severini, 1280, 111 Seiten.
 
Rezension: Peter Herfurth-Jesse
 
"Die folgende Geschichte" (1991, st 2500) über das lebensgeschichtliche Scheitern eines Zwangscharakters habe ich vor gut drei Jahren als "kleine Entdeckung" gefeiert. "Rituale" (1980, st 2624), meine zweite Begegnung mit Cees Nooteboom, beschäftigte sich auf heitere, gelassene und zugleich melancholische Weise mit Menschen, die sich aus Unvermögen für ein Leben in Einsamkeit entschieden haben und in jeweils unterschiedlicher Weise daran zu leiden haben.
Nun wird manche(n) die Frage peinigen: Warum sollen wir so etwas lesen? Nun, weil der 1933 geborene Schriftsteller ganz toll schreiben kann - und sich darüber hinaus mit Grundfragen unseres Seins beschäftigt, von denen das handelsübliche Action-, Kriminal-, SciFi-, Horror- oder Fantasyzeug keine Ahnung hat. Also: wer (sich) weiter bloß seine Zeit vertreiben will, braucht diese Rezi nicht weiter zu verfolgen - wer allerdings (auch) lesenderweise seinen Horizont erweitern will...
"Es ist etwas unsäglich Trauriges an Schriftstellern, die allein in ihrem Arbeitszimmer sitzen. Früher oder später kommt der Moment in ihrem Leben, in dem sie an ihrer Arbeit zweifeln. Es wäre vielleicht auch verwunderiich, wenn sie es nicht täten. Je länger einer lebt, desto aufdringlicher wird die Wirklichkeit und gleichzeitig um so uninteressanter, weil es soviel davon gibt. Muß dem nun wirklich noch etwas hinzugefügt werden?" (S.12) Da wird manch langjährige(r) Fan-Autor(in) seufzend (und gemeinsam mit mir) zustimmend nicken: Diese Erfahrung haben wir auch gemacht, die wir einst naiv und voller Selbstüberschätzung begonnen haben, unschuldiges Papier vollzumüllen und dies inzwischen (weitgehend) aufgegeben haben...
Aber nun endlich zu der (vom Verlag irreführenderweise als "Roman" ausgegebenen) Erzählung, die auch schon etwas älter ist, in der deutschsprachigen Ubersetzung aber erst 1997 als (einigermaßen preiswertes) Taschenbuch herauskam. Nooteboom verfolgt hier zwei parallele, Erzählstränge. Der eine nimmt seinen Ausgang in dem Satz "Der Oberst verliebt sich in die Frau des Arztes" und führt uns in das Bulgarien des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Skizziert werden ein national gesinnter Militär, ein seine Heimatverächter von einem Arzt und dessen ansehnliche Frau. Dieser erste Erzählstrang stellt einen Roman dar, den ein Schriftsteller gerade schreibt, während er sich - und das ist Erzählstrang Nummero zwo - damit beschäftigt, was genau er da gerade eigentlich tut. Auf dieser zweiter Ebene geht es beispielsweise um Fragen der Verantwortung des Schriftstellers gegenüber seinen Figuren - und das hat schon einmal seinen besonderen Reiz, kann man doch jeden Gedanken, mit dem sich der Schriftsteller auf Erzählebene zwo befaßt, zugleich auf den sehr realen Schriftsteller Cees Nooteboom übertragen werden...
Der Niederländer führt eine wohlgeschliffene Feder und es ist schon rein ästhetisch ein satter Genuß, seinen Worten zu folgen. Da ich potentiellen InteressentInnen keine Pointen verderben möchte, lege ich mir zum Ende dieser kurzen Rezension hin Zurückhaltung auf. Es sei jedoch verraten, daß die Geschichte des Oberst, des Arztes und dessen Frau Fragment bleibt und der erfundene Schriftsteller zu gänzlich anderen Handlungskonsequenzen kommt als der reale.


Dies war bestimmt nicht meine letzte Begegnung mit einem der elegantester Schriftsteller, den ich seit Paul Auster entdecken durfte.