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Cees NooteboomIm Frühling der Tau
 
(1995) Frankfurt/Main 1997, Suhrkamp Taschenbuch St 2773, ISBN 3-518-39273-5, aus dem Niederländischen von Helga von Beuningen, Umschlagillustnation: El Paesante, 1980, 343 Seiten.
 
Rezension: Peter Herfurth-Jesse
 
Mit den herben, fast philosophischen, immer aber stilsichenen Erzählungen "Die folgende Geschichte" (st 2500), "Ein Lied von Schein und Sein" (st 2668) und "Rituale" (st 2446) hat sich der 1933 geborene Niederländer Cees Nooteboom in den kleinen Kreis jener Autoren geschrieben, die ich spät entdeckt habe und denen Werk ich mir Zug um Zug sozusagen netrospektiv aneigne. Mit "Im Frühling der Tau" stellt sich der Dichter mir erstmals als Reisender vor.
Der "Östliche Reisen" untertitelte Band enthält Impressionen an Reisen nach Persien (der heutigen Islamischen Republik Iran), Birma, Malaysia, Borneo, Thailand, Macau und dreimal Japan, wohl alles Traumziele für Weltenbummler. Der Dichter ist übrigens zu dem (wohlbegründeten) Schluß gekommen, man könne nur eines: entweder fotografieren oder sehen, also bringt er von seinen Reisen nichts Selbstgeknipstes mit, sondern ganze Kladden voll mit hastig hingekritzelten Notizen, deren Sinn sich im Nachhinein nicht immer erschließen. (Wer hat noch nicht selbst die seltsame Erfahrung gemacht, daß die eigenen Reiseerinnerungen überraschend schnell immer bruchstückhafter, fragmentarischer werden und mitgebrachte Fotos immer schwerer sinnvoll selbsterlebten Erinnerungen zugeordnet werden können?)
Nooteboom also setzt sich zu Hause hin, arbeitet seine Notizen durch und erlebt seine Reisen so in gewisser Weise noch einmal. Seine Erinnerungen sind als letztes dem touristischen Blick der Reiseführer verpflichtet, auch wenn gelegentliche Ausflüge in die Landesgeschichte nicht fehlen. Der Niederländer geht eher assoziativ vor, sucht in Japan der Andersartigkeit der japanischen Mentalität nachzuspüren, staunt im bürokratisch "sozialistischen" Birma über die Abwesenheit der üblichen Diensteifrigkeit »Wir drängen noch etwas weiter, bis auch wir begreifen, daß ein strahlendes Lachen ein eisernes "Nein" bedeuten kann.« (S.102)
Diesen Reisetexten ist ein stetiger Fluß eigen, sie lassen sich sehr schön lesen (und vorlesen). Sie beanspruchen nicht auch nur annähernd vollständige Auskunft über das Erlebte und Gesehene zu geben, ihr Ziel ist lediglich das Nachzeichnen von persönlichen Berührungen und Erlebnissen. Es entsteht ein seltsam befriedigendes Lesen, bei aller (unaufhebbaren Asymmetrie zwischen dem Autor, der sich zu so vielen Zeugnissen der Weltgeschichte aufgemacht hat und dem Leser und der Leserin, die beide vermutlich daheim geblieben sind und für die die hier beschriebenen Reisen aller Voraussicht nach immer ein Traum bleiben werden.
Man kann eben nicht alles haben, leider, aber Reisebücher wie das Vorliegende bieten uns vielleicht den Hauch einer Ahnung von dem, was es dort draußen zu sehen, riechen, schmecken - und erleben gibt.