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James MorrowSo muß die Welt enden
 
Science Fiction Roman, This is the Way the World ends (1986), deutsche Erstausgabe, München 1994, Heyne SF 06/3-453-07265-0, aus dem Amerikanischen von Horst Pukallus, Umschlagillustration: Jörg Reme, DM 14,90, 429 Seiten.
 
Rezensent: Peter Herfurth
 
Der vorliegende Roman ist beinahe ein ganzes Jahrzehnt alt. Damit scheint er bereits aus einer vergangenen Epoche zu stammen, aus jener fast vergessenen Zeit vor dem Untergang der "realsozialistischen" Staatenwelt, aus der Ära der thermonuklear bewaffneten Systemkonfrontation, da der gegenseitige nukleare Overkill weltweit auf der Tagesordnung zu stehen schien. Dies ist auch der Hintergrund für die angemessen absurde Satire So muß die Welt enden von James Morrow, eines jener raren Genreautoren mit über den schmalen Tellerrand wohl feilen Eskapismus hinausreichenden Ambitionen.
Der Roman beginnt mit einer Lektion in "Zivilschutz": Kauft Schutzmonturen, heißt es, und eure Angehörigen sind für den Fall der (nuklearen) Fälle geschützt. Dies ist das Märchen, dem auch der Grabsteinmetz George Paxton aus Wildgrove, Massachusets, willig auf den Leim geht, als er für sein kleines Töchterlein eine eigentlich viel zu teure Anti-Atom-Schutzmontur ersteht. Die Art, wie ihm dabei ein redegewandter Vertreter das Ding andreht, erinnert nicht von ungefähr an die Invasion mit allen Wassern gewaschener Versicherungsmenschen, die nach dem "Mauerfall" gen Osten ausschwärmten, um bei den in diesen Dingen noch unerfahrenen Neu-BundesbürgerInnen Rekordabschlüsse zu tätigen...
Die Umstände (bzw. des Autoren Plan) bewirken jedoch, daß der besorgte Familienvater aus finanziellen Gründen von dem Kauf zurücktreten muß. Was nun, George Paxton, den möglichen Atomkrieg vor der Türe und das kleine Töchterlein "ungeschützt"? Da machen einige Unbekannte dem Provinzler ein Angebot, das er scheinbar nicht ausschlagen kann: Gegen Unterschrift unter einem seltsamen Vertrag, bieten sie ihm eine speziell angefertigte Atom-Schutzmontur an. Weihnachten steht vor der Tür, und was könnte ein besorgter Familienvater seiner kleinen Tochter Schöneres schenken als ein kleines Stückchen Sicherheit? Also unterzeichnet George Paxton flink das ihm vorgelegte Dokument, in dem er sich der "Komplizenschaft beim atomaren Wettrüsten" bezichtigt: "ICH, DER UNTERZEICHNER, bin mir in voller Tragweite dessen bewußt, daß die Verbreitung besagter Monturen die Herrschenden unserer Gesellschaft zur Verfolgung einer Politik des atomaren Abenteurertums ermuntert." Und so weiter.
Es kommt, wie es kommen muß. Noch bevor George Paxton mit der neuen Schutz-Montur sein Heim erreicht, vermelden irgendwo über der Bering-See zwischen Sibirien und Alaska hochgezüchtete Radaranlagen den Anflug sowjetischer Interkontinentalraketen, löst irgendwo in den Vereinigten Staaten von Amerika jemand Hochdekoriertes den nuklearen Gegenschlag aus, auf den aus dem "Reich des Bösen" (Ronald Reagan) postwendend die Antwort kommt... Und so weiter. Für die gesamte Welt und damit auch für Wildgrove, Massachusets, bricht der Jüngste Tag an, mit sezierender Distanz geschildert von James Morrow. Das Ende der Welt, wie wir sie kennen. Der nukleare Holocaust. Der Untergang der Menschheit.
Damit ist der "realistische" Teil der Satire zuende, es beginnt die metaphorische Farce. George Paxton, obschon radioaktiv verseucht, findet sich nämlich an Bord eiens Atom-U-Bootes der ehemaligen Kriegmarine der inzwischen gleichermaßen ehemaligen Vereinigten Staaten von Amerika wieder, zusammen mit einem Nukearstategen, einem Atomwaffen-Erfinder, einem Chefunterhändler bei den Genfer "Rüstungskontroll"verhandlungen und einem kriegstreiberischen Fernseh-Evangelisten. Sie alle sind ausersehen, sich vor einem Kriegsverbrechertribunal zu verantworten wegen Verbrechen gegen der Frieden, Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschheit und Verbrechen gegen die Zukunft. Ankläger sind die zukünftigen Ungeborenen, denen eine spektakuläre Diskontinuität für ein gezähltes, knappes Jahr doch noch Zutritt zu jener Erde verschafft hat, auf der sie nun nicht meh r leben werden...


So muß die Welt enden ist tatsächlich die "ätzende, bitterböse Satire", die der Rückumschlagtext annonciert.

Man kann darüber streiten, ob die immer wieder eingeflochtene These einer Hauptschuld der Sowjetunion an dem (fiktiven) Atomkrieg so den historischen Tatsachen entspricht, aber einem us-amerikanischen Autoren ist wohl anzurechnen, daß (und wie) er immerhin die (Mit-)Verantwortung der "eigenen" Politiker, Militärstrategen und Meinungsmacher auf den Seziertisch seines Romanes legt. Am erstaunlichsten ist jedoch, welche Distanz der Rezensent mittlerweile dem geschilderten Weltuntergangs- bzw. Menschheitsauslöschungsszenario entgegenzubringen in der Lage ist: da hat sich viel getan in den vergangenen neun, zehn Jahren. Da sind wohl neue Themen auf die emotionale Beunruhigungs-Tagesordnung gesetzt worden.
Dabei besteht die nukleare Bedrohung fort, die Massenvernichtungsarsenale sind unvermindert prall gefüllt, die politisch Verantwortlichen sind immer noch in Amt und Würden.

Angesichts der an allen Ecken und Enden der Welt veranstalteten regionalen Massaker (samt UN- und NATO- "Krisenmanagements"-Theater) scheint jenes große Thema der achziger Jahre doch an Schärfe verloren zu haben. Wenn dem wirklich so ist, kann dieser Roman als notwendige Erinnerung nur empfohlen werden.