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Frank W. Haubold (Hrsg.)Die Jenseitsapotheke
 
Jahresanthologie 2006; FANTASIA 200/201; Erster Deutscher Fantasy Club e.V.; www.edfc.de; 286 Seiten
 
Rezensent: Andreas Nordiek
 
Die diesjährige Jahresanthologie des EDFC kommt als dickformatiges Paperback daher und deckt mit 25 phantastischen Kurzgeschichten alle Spielarten ab. Viele der hier vertretenen Autoren/-innen dürften dem kundigen Kurzgeschichtenleser bekannt sein. Namen wie Michael Siefener und Stephan Peters, deren Beiträge zumeist der dunklen Phantastik zuzurechnen sind, finden sich neben Christel Scheja und Armin Rößler (Fantasy)und Anke Laufer und Wilko Müller jr. Science Fiction). Abgerundet wird diese Mischung mit Beiträgen u.a. von Jasmin Carow und Heidrun Jänchen, deren Genrezuordnung schon schwieriger fällt.
Um auch nur oberflächlich auf alle Kurzgeschichten und Erzählungen einzugehen, müsste sich der Leser auf mehrere Seiten einstellen. Deshalb erlaube ich es mir lediglich einige wenige Beiträge näher zu würdigen.
Den Reigen eröffnet Michael Siefener mit seiner Kurzgeschichte "Die Rückkehr", die ganz der Tradition seines düsteren Kurzgeschichtenwerkes entspricht. Sehr eindringlich erzählt er die Geschichte eines jungen Mannes, der nach Jahren der Abwesenheit in sein Elternhaus zurückkehrt, wo er seine Eltern sterbend vorfindet. Allein schon die Wohnstätte seiner Eltern, ein altes turmartiges Gebäude, welches hoch auf einer Klippe errichtet wurde, von einer Mauer umgeben an der ein undurchdringlich erscheinender Wald brandet, passt zu der von Siefener kreierten Atmosphäre der Düsternis und finsterer Geheimnisse. Michael Siefener zählt zu den bekannteren Phantastikautoren des Genres und konnte bereits diverse historische Kriminalromane und düstere Heimatromane bei verschiedenen Verlagen unterbringen. Gerade ist mit "Hinter der Maske" ein weiterer bei KBV erschienen.
Eine modernere Variante der dunklen Phantastik bietet Stephan Peters, der Lesern dieses Genres längst kein Unbekannter mehr ist. In "Mein Lieber René" baut er seine Geschichte als Briefwechsel auf. Jener René zieht in ein einsames, renovierungsbedürftiges Gehöft in der Nähe Oldenburgs. Von dort aus berichtet er seiner Liebsten von seinen Renovierungsfortschritten und der Erkundung der Umgebung, die ihm als Städter total einsam und rückständig erscheint. Dabei scheint er auf einem Gehöft zu wohnen, auf welchem vor einiger Zeit eine gesamte Familie unter mysteriösen Umständen zu Tode gekommen ist. Und tatsächlich scheint das Haus ein dunkles Geheimnis zu bewahren. Was sich nach einem altbekannten Setting anhört, wird von Stephan Peters am Ende seiner Geschichte auf eine moderne und überaus fiese Ebene geholt, die für den Leser so nicht absehbar war. Hinzu kommt, dass er dann noch eine weiter Wendung einbaut, die sein Werk zu seiner ursprünglichen Ebene zurückkehren läst. Stephan Peters Kurzgeschichte merkt man einfach die schriftstellerische Routine an. "Mein Lieber René" stellt ein Beispiel moderner Horrorliteratur dar.
Eine Mischung zwischen Fantasy und Science Fiction bietet Armin Rößler in "Sturmreiter". Er erzählt die Geschichte dreier Freunde, die mit ihren fliegenden Riesenvögeln die Lüfte auf der Suche nach Nahrung durcheilen. Der Absturz eines der drei Tiere verändert ihr bisheriges Zusammensein. Er wird sich nie wieder in die Lüfte erheben und als ein weiterer dann die Welt mit einem Raumschiff von Prospektoren verlässt, bleibt lediglich noch ein Sturmreiter übrig. Eine traurige Story, denn die Freunde von einst gehen innerhalb kürzester Zeit ganz andere Wege, die sie nie wieder zusammenführen werden.
"Die Chronistin von Chateauroux" von Anke Laufer entführt die Leser in eine Welt, in der es keine Erwachsenen mehr zu geben scheint, in der altern dank des technischen Fortschrittes nicht mehr notwendig ist. Ein klares SF-Szenario, welches sich aber in einer leicht surreal anmutenden Geschichte verbirgt. Daraus erschließt sich dem Leser a uch erst nach und nach welche Veränderungen innerhalb von Laufers Welt stattgefunden haben. Die Handlung spielt in einem abgelegenen, längst aufgegebenen Hotel, in dem die wohlhabenden und reichen abstiegen und sich von Kindern haben bedienen lassen. Bis dann während einer Revolution das Hotel dem Vergessen preis gegeben wurde, Jahrzehnte lang vor sich hin schlummerte und dann quasi wiederentdeckt wurde. Die Story verfügt über eine ganz eigene Atmosphäre. Die Vergangenheit des Hotels erinnert einem an vergleichbare Nobelherbergen zu Zeiten des viktorianischen Zeitalters England und der gesamten Story entströmt diese ganz eigene Atmosphäre. Eine wirklich schön erzählte Geschichte.
Bei "Der Tausendäugige" von Frank W. Haubold handelt es sich um eine klassische SF-Geschichte, was man bereits an der Widmung für AE van Vogt, einem der ganz Großen der amerikanischen SF-Literaturszene, erkennt. Die Geschichte umweht ein Hauch von SF-Klassik, in Form einer Planetenmission, eines monströsen außerirdischen Wesens und fast schon heldenhaft agierenden Raumfahrern. Dabei versinkt die Handlung nicht in üblichen Klischees, sondern weist durchaus moderne Elemente auf, und stellt mit Abstand die lupenreinste SF-Kurzgeschichte in der Anthologie dar. Eine wirklich lesenswerte Bereicherung dieser Anthologie.
"Sternzerstörer" von Niklas Peinecke begleitet einen jungen Revoluzer, der sich ungewollt in einem tödlich verlaufenden Anschlag wiederfindet. Obwohl es eigentlich nur darum ging ein Symbol zu zerstören, kommen Menschen um, was ihm letztlich die Augen öffnet. Vielleicht schon ein wenig zu klischeehaft von der Idee her. Liest sich aber in einem angenehmen Stil.
"An der Großen Marina" von Matthias Falke läst sich keinem bestimmten Genre zuordnen, sondern verfügt über Elemente verschiedener Bereiche der Phantastik. Gerade in den letzten Jahren haben solche Romane und Kurzgeschichten enorm an Popularität gewonnen. Die von Matthias Falke verfasste Kurzgeschichte spielt auf solch einer Welt, die Elemente der Phantastik und hier vor allem der SF enthält. Am Vorabend einer großen Auseinandersetzung gehen zwei liebende den Weg in die Ehe ein, wohl ahnend, dass die ruhigen Tage vorbei sein werden. Die Kurzgeschichte besticht durch ihre intensive Stimmung, die erzählerisch wirklich gut zu Papier gebracht wurde. Einzig der Eindruck, dass sie wie ein Kapitel aus einem Roman herausgerissen wurde, läst den Leser unbefriedigt zurück.
Frank W. Haubold hat als Herausgeber gute Arbeit geleistet. Die diesjährige Jahresanthologie des EDFC dürfte für jeden Lesegeschmack etwas bieten und so die Erwartungen der meisten Leser erfüllen.
Vermisst habe ich einen Hinweis auf die jeweilige Erstveröffentlichung, denn nicht alle Kurzgeschichten erfahren diese hier. Dafür werden dankenswerter Weise die Autoren/-innen kurz vorgestellt.