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Greg BearHeimat Mars
 
Science Fiction Roman, Moving Mars (1993), deutsche Erstausgabe, München 1999, Heyne TB 06/5922, ISBN 3-453-13309-9, aus dem Amerikanischen von Usch Kiausch, Umschlagillustration: Zoltan Boros & Gabor Szikszai, mit einem Interview mit dem Autoren, 1990, 782 Seiten.
 
Rezension: Peter Herfurth-Jesse
 
Greg Bear zeichnet sich als Autor von Science Fiction dadurch aus, daß er immer wieder den Blick über den (eskapistischen) Tellerrand des Genres wagt; ich erinnere hier nur an den engagierten Anti-Scientology-Roman "Köpfe" (Heyne SF 06/5347). In einem seinem neuen Roman nachgestellten Interview bekennt sich der Mann auch ausdrücklich zu seiner sozialen Verantwortung als Autor.
Mit "Heimat Mars" reiht sich Bear nunmehr in die wachsende Schar von Autoren ein, die den roten Planeten nebenan zum Schauplatz eines (mehr oder weniger) utopischen Geschehens machen. Um mein Gesamturteil vorwegzunehmen: "Heimat Mars" verbindet Licht und Schatten, spannende und eher langweilige Passagen, überbordenden Ideenreichtum und beinahe konservative Einfallslosigkeit. Letztere betrifft vor allem die soziale Alltagsrealität auf dem Hauptschauplatz.
Es mag ja kommerziellen Erwägungen geschuldet sein, aber die beispielsweise Geschlechterrollenkonstellationen auf Bears Mars des Jahres 2171 erinnern doch stark an die Tanzschulen des Jahres 1972: Die Frauen erwarten immer noch, daß in "Liebesangelegenheiten" der Mann den wichtigen ersten Schritt unternimmt und überhaupt soll der "Erste" nach Möglichkeit auch gleich der Einzige sein. So hat mich die zarte Jugendliebe der späteren Marspräsidentin Casseia Majumdar mit dem späteren genialen Physiker Charles Franklin eher verärgert.
Aber auch das noch davor veranstaltete einleitende Kapitel um einen Versuch despotischer "Zentralisten", dem Mars eine gemeinsame Regierung aufzuoktroyieren (mehr idealistische als kompetente studentische Proteste inklusive) empfand ich bestenfalls als unzureichend vorbereitet.
Immerhin geht es irgendwann mit der Handlung voran, ein roter Faden entspinnt sich. Die Heldin unternimmt als Praktikantin eines einflußreichen marsianischen Politikers eine Reise zur Erde und stößt dort (endlich!) auf die Früchte eines überbordenden utopischen Einfallsreichtum. Die ErdbewohnerInnen treiben mit ihren Körperformen, sexuellen und sozialen Identitäten ein buntes Spiel, über das ich gerne mehr erfahren hätte, aber leider scheitern die marsianischen BotschafterInnen auf ganzer Linie und müssen unverrichteter Dinge ihren Heimweg antreten.
Im weiteren Verlauf gelingt die Gründung einer Bundesrepublik Mars doch und die gerade noch kleine Praktikantin wird zur (kommissarischen) Vizepräsidentin berufen. (Das sind Karrieren, gell?) Aber ihre Jugendliebe Charles Franklin (wir erinnern uns) hat mit seinem Team inzwischen den lange erwarteten Durchbruch in Sachen "Bell-Kontinuum" geschafft und eine ausgesprochen potente Technologie entwickelt, deren kriegerische Potenziale unbekannt bleibende böse Mächte auf der Erde dazu bewegt, den Mars militärisch anzugreifen. Casseia Majumdar muß nun rasch handeln, um ihre Heimat vor der völligen Vernichtung zu bewahren...


"Heimat Mars" läßt sich als nicht unspannender, in Teilen allerdings recht naiver Jugendroman lesen, der immerhin mit einer moralischen Botschaft aufzuwarten hat: hüte dich vor den Mächtigen. Vereinzelte dozierende Einsprengsel zu physikalischen Theorien beziehungsweise politischen Grundlagen hemmen den Lesefluß nur geringfügig. (Es ist allerdings immer wieder erstaunlich, das politische System der USA mit seinen bestenfalls 40% Beteiligung bei wichtigen Wahlen als fortgeschrittenstes Politmodell der Weltgeschichte vorgestellt zu bekommen.)