Frameset nachladen
 
Stephen Baxter"Anti-Eis"
 
Roman, München 1997, Heyne Verlag, 318 Seiten
 
Rezension: Reimer Deutler
 
Jules Verne gilt als einer der Wegbereiter der SF. Seine unzähligen Abenteuerromane bezogen oft Wissenschaft und Technik ein. Und doch ging es letztlich auch immer um das Schicksal der Menschen selbst. Wer kennt nicht die Tragik eines Kapitän Nemo, der eine bessere Welt schuf, die aber keinen Bestand hatte und für viele das Ende markierte. Verne hat seine Helden sogar den Weltraum erobern und dem Mond eine Visite abstatten lassen.
Stephen Baxter ist das Kunststück gelungen, einen Roman in eben jener Tradition zu schreiben. Genau genommen ist "Anti-Eis" ein in das vergangene Jahrhundert verlegter Zukunftsroman, an dem Jules Verne über weite Strecken seine Freude gehabt hätte. Denn eines ist trotz aller Parallelen nicht zu übersehen: Baxters Perspektive ist britisch. Dies ist jedoch eine Stärke des Romans, erlaubt ihm dies doch, eine viel tiefere Auseinandersetzung mit der eigenen Historie, ohne sich dem Vorwurf auszusetzen, er schreibe über Dinge, die ihn nichts angehen und die er nicht verstünde.
"Anti-Eis" ist in dieser fiktiven Vergangenheit der Schlüssel für eine viel stärkere Vormachtstellung des britischen Empires, als es das wirkliche Weltreich jemals besessen hat. "Anti-Eis" ist das Uran jener Zeit, eine merkwürdige Substanz, die im tiefgefrorenen Zustand absolut harmlos ist, bei Erwärmung jedoch gigantische Energiemengen schlagartig freisetzt und daher insbesondere bei Militärs Begehrlichkeiten weckt.
Dem englischen Ingenieur Traveller verdankt das Empire jedoch auch eine Vielzahl modernster Maschinen und Geräte, so z.B. Monorailbahnen über den ärmelkanal, riesige Frachtschiffe und sogar raketenähnliche Weltraumfahrzeuge.
Ned Vicars, ein junger naiver Engländer in diplomatischen Diensten trifft Traveller erstmals zur Weltausstellung von 1870 in Manchester, dem neuen Mittelpunkt des Empires.
Jedem nur leidlich geschichtsbewanderten Deutschen sollte deutlich werden, in welche brisante Zeit Stephen Baxter seine Figuren setzt. In der Tat kommt es zum Ausbruch des Krieges zwischen Preußen und Frankreich. In der Vergangenheit, die Baxter beschreibt, ist aber England die Hegemonialmacht in Europa. Soll England in den Krieg eingreifen? Wenn ja, für wen soll es u.U. Partei ergreifen ? Oder gibt es eine andere Lösung, Krieg für alle Zeiten aus Europa zu verbannen?
Diese Fragen thematisiert Baxter in seinem Roman. Aus der Ich-Perspektive Ned Vicars erlebt der Leser eine abenteuerliche Reise ins Weltall, wird Zeuge dramatischer Aktionen, um wieder zur Erde zurückzukehren sowie das bedrückende Ende eines Krieges auf französischem Boden.
Dass so beinahe Nebenbei auch noch nach Erklärungen für das absonderliche Verhalten jener Substanz aus der Kälte gesucht wird, mag für den SF-Fan erfreulich sein, der Roman selbst wäre auch sehr gut ohne diese Science ausgekommen, und hätte nichts von seiner Kraft verloren.
Und so ist "Anti-Eis" neben aller Spannung ein gelungenes Plädoyer für den maßvollen Umgang von und mit Wissenschaft und Macht sowie für die Selbstbestimmung der Völker sowie jedes Einzelnen.


KAUFEN !!!!!